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Leipzig

"Metamorphosen 1" (DDR 1978) – Animierte Collagen von Lutz Dammbeck

Von Jeanpaul Goergen

 

Umgestaltung, Umformung und Verwandlung bildeten im vordigitalen Zeitalter eine wesentliche Charakteristik des Zeichenfilms, die ihn von anderen Filmgenres wie Dokumentar- und Spielfilm zentral unterschied. Ein Körper oder ein Objekt gerät in Bewegung und durchläuft Metamorphosen, die ad Infinitum bis zum letzten Bildkader weitergehen können. Veränderung durch ständige Bewegung ist auch das treibende Element in dem 1978 in der DDR unabhängig hergestellten Experimentalfilm "Metamorphosen 1" von Lutz Dammbeck, eine dynamische 'mariage' aus Realfilm und kameralosem 'handmade' Film.

Screenshot_Metamorphosen1
Quelle: Jeanpaul Goergen
Einritzungen auf Realfilm (Motiv aus dem Film)

Lutz Dammbeck (*1948) studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig; früh interessierter er sich auch für Film. Zur Diplomprüfung 1972 reichte er Zeichnungen für einen Animationsfilm ein: Collagierte Blätter aus alten Firmenkatalogen zeigen ein mächtiges Maschinenwesen, das ein kleines, nur aus einem Fingerabdruck bestehendes Wesen verfolgt. Im DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden konnte er diese Idee zwar nicht realisieren, lernte aber die Trickfilmherstellung kennen und realisierte dort in der Folgezeit als Freiberufler eigene Animationsfilme. In dem Flachfigurenfilm "Der Mond" (1975) stiehlt ein verfressener giftgrüner Drache den Mond, aber die listigen Waldbewohner können ihn befreien. Der auf Millimeterpapier gezeichnete Trickfilm "Lebe!" von 1978 fordert dazu auf, im genormten und vorgezeichneten Alltag die Träume der Jugend nicht zu vergessen.

Unzufrieden mit den engen Grenzen, die ihm im DEFA-Studio für Trickfilme gesetzt waren und mit den Beschränkungen des künstlerischen Gestaltens in der DDR insgesamt entwickelte Dammbeck zwischen 1976 und 1978 zusammen mit anderen bildenden Künstlern, Malern und Fotografen die Idee für eine interdisziplinär und multimedial ausgerichtete Schau und arbeitete bereits an ersten Exponaten. Inspiriert von Fluxus, Happening und Popart, plante er mit Karin Plessing, Frieder Heinze, Hans Hendrik Grimmling, Jürgen Schäfer, Gregor-Torsten Schade und Günter Huniat in Leipzig eine Ausstellung mit dem programmatischen Titel "Tangente 1 – Malerei, Tanz Film, Musik". Zentraler Bestandteil sollten Gemeinschaftsarbeiten von mehreren Künstlern sein.
Dammbeck konzipierte zusammen mit dem Maler Frieder Heinze einen Trickfilm mit einer Zugfahrt als Rahmenhandlung.

Abwechselnd und sukzessive zeichneten beide fünfzig großformatige Blätter. Dann wurde die Ausstellung verboten und Heinze zog sich aus dem Trickfilmprojekt, das ihm zu zeitaufwändig erschien, zurück. So entstand 1978 "Metamorphosen 1" als eigenständiger Film von Lutz Dammbeck "nach einer TANGENTENidee", wie der Vorspann ausweist. Indem Dammbeck sich dem Medium und dem Material Film radikal als Individuum näherte, begründete er mit "Metamorphosen 1" die 'Animation Art' als Teil der Bildenden Künste der DDR.

Einflüsse empfing Dammbeck auch durch die umfangreiche Retrospektive des Animationsfilms der sozialistischen Länder anlässlich der Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche 1978. In seiner Rezension "Metamorphosen im Trickfilm" (Sonntag, Nr. 3, 1979) wandte er sich gegen Animationsfilme als "Kinder- und Erwachsenenbelustigung" und die "bunte Welt voll singender Hunde und tanzender Ferkel" der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Stattdessen forderte er, auch im Hinblick auf die Entwicklung in der DDR, den Animationsfilm als "ernsthaftes Kunstwerk" zu betrachten, "als jüngstes Kind der Künste und der optischen Massenkommunikation". Er sollte nicht nur im Kino, sondern auch in Galerien gezeigt werden, im "Zusammenspiel von Malerei, Grafik, Plastik, Dokument und szenischen Vorgängen in einem gestalteten Raum." Seine Forderung nach der Bereitstellung entsprechender Räume in der DDR blieb unerfüllt.

Dammbeck fertigte "Metamorphosen 1" an einem selbstgebauten Lichttisch. Den entwickelten schwarz-weiß-Film mit der Zugfahrt sowie unbelichtetes Filmmaterial verfremdete er mit Einritzungen und Übermalungen. Dabei hielt er sich zum einen an das Format der Bildkader, zum anderen überstrich er aufeinanderfolgende Kader mit dunkler Tusche. Neben Fotofarben der Firma Keilitz, die vor allem von Retuscheuren verwendet wurde, benutzte er normale Künstlerölfarben und schwarze Tusche der Firma Schmincke.

Beides trug er auf die Schichtseite des Films auf. Ein Problem bestand darin, dass die angestrebten Aquarell-Effekte nicht so einfach zu erzielen waren, da die Farbe sehr schnell in die Schicht einzog und trocknete. Linien bzw. Vertiefungen ritzte er mit einer üblichen Radiernadel in den Film ein und rieb – wie bei einer klassischen Kaltnadelradierung – die Ölfarbe mit der Hand oder einem Lappen in die Vertiefungen ein. Diese Art der rohen Behandlung des Filmmaterials hatte er zuvor an Filmresten aus den DEFA-Studios ausprobiert.

"Metamorphosen 1" ist mit seiner Collage aus Real- und Animationsfilm und den Verfremdungen des Ausgangsmaterials durch Übermalungen und Einritzungen ein hybrider Künstlerfilm mit doppeltem Boden – eine Grenzüberschreitung und ein einzigartiges Experiment außerhalb des DEFA-Filmimperiums.

Von den direkt auf den Film gemalten Filmen von Len Lye in Großbritannien und Norman McLaren in Kanada hatte Dammbeck wohl gehört und gelesen, sie aber in der DDR nicht sehen können. Die handgezeichneten non-camera-Filme des polnischen Künstlers Julian Antonisz kannte er ebenfalls nur vom Hörensagen. Die in der Bundesrepublik entstandenen handgemalten Filme "Strich-Punkt-Ballett" (1952) von Herbert Seggelke und "X Y" (1954/55) von Haro Senft waren in der DDR ebenfalls nicht präsent. So kam es, dass Dammbeck dieses Verfahren für sich und seine Arbeit neu entdeckte.

Beim handmade-Film ist der Künstler in seinem Atelier allein mit einem Filmstreifen, den er auf einem Lichttisch ausgebreitet hat, daneben Farben und Tuschen, Stichel und Rasierklinge. Es ist ein einsames Schaffen – ganz untypisch für die Filmarbeit, die stets aus dem Zusammenspiel zahlreicher Gewerke entsteht. Wie die Maler Walter Ruttmann, Viking Eggeling und Hans Richter in ihren "absoluten Filmen" der frühen 1920er Jahre sowie auch Oskar Fischinger versucht Dammbeck eine Synthese von Film und Malerei, ohne aber ganz auf Gegenständlichkeit und wiedererkennbare Gestaltungen zu verzichten. Wo er sie einsetzt, vermeidet er aber symbolische Bedeutungen.

Wie die Filmavantgardisten der Weimarer Republik ist auch Dammbeck an der zeitlichen Dimension von Film und an der Strukturierung der Bewegtbilder durch Rhythmus interessiert, in seiner Formensprache ist er jedoch wesentlich frecher, unbändiger und wilder als jene. Dieser dadaistische Ansatz versteht sich als Angebot an die Zuschauer und die Kulturfunktionäre, deren Reaktionen er herausfordert. In einem Beitrag für die belgische Zeitschrift 'Plateau' monierte er 1981 das Fehlen von Autorenfilmen, philosophischer Parabeln, scharfer Satiren und experimenteller Arbeiten im DEFA-Studio für Trickfilme – Felder, die besonders für junge Graphiker interessant seien. Er forderte das Studio auf, sich für junge Animatoren zu öffnen und ihnen Raum für Experimente zu geben. Vom Animationsfilm der DDR verlangte er eine "Synthese von Intellektualität, Anspruch und Schauwert, sprich Unterhaltungen. Das Plädoyer für anspruchsvolle bildnerische Zeichen schließt die Unterhaltsamkeit doch nicht aus."

Die Staatssicherheit beobachtete Dammbecks Arbeiten und argwöhnte nicht zu Unrecht das Unterlaufen der Kulturpolitik der SED durch "spätbürgerliche Kunstauffassungen" und die Etablierung eines Netzes von freien Galerien außerhalb des Einflussbereichs der Partei. Befürchtet wurde wohl die Anlehnung an Expressionismus und vor allem an den Surrealismus mit seiner Betonung des Traumhaften, Fantastischen und des Zufalls.

Der Film.
Der Anfang der "Metamorphosen 1" erinnert an den ersten Akt von Walter Ruttmanns "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" (1927) – die stark dynamisierte Zugfahrt durch die Vororte der Stadt bis zur Ankunft im Anhalter Bahnhof. Dammbecks Film beginnt mit einer Zugfahrt ab Dresden-Pieschen, einem Vorortbahnhof. Auf dem Bahnsteig warten fünf Personen um die 30, vier Männer und eine Frau, winken entspannt in die Filmkamera Es ist ein Ausflug von Freunden, ohne großes Gepäck. Die Fahrt beginnt, Industriebauten ziehen vorbei, der Film verfärbt sich violett – es ist das Ende der Filmrolle, die zum eingeritzten Filmtitel führt und damit auf eine neue Ebene, in die Welt der Imagination, der Fantasie und der Metaphern. Dammbecks Dresdner Stadtsinfonie erkundet Innenwelten.

Bildkader_Metamorphosen1
Quelle: Lutz Dammbeck
Malen und Zeichnen auf Blankfilm (Bildkader aus dem Film)

Am unteren Bildrand entstehen Wucherungen, darüber ein Halbmond, der sich kreisförmig auflöst und eine Krone bildet, die nun wie ein Menetekel über der Stadtlandschaft erscheint. Noch mehrfach wird der Zuschauer mit Aufnahmen aus dem fahrenden Zug daran erinnert, dass er sich in einem Bewegungsfluss befindet. Die nervösen Zeichnungen greifen die schon von den italienischen Futuristen bewunderte 'velocità' der Moderne auf, und die rasanten Variationen evozieren jenen leicht hypnotischen Zustand, der auftritt, wenn man versucht, in der vorbeifliegenden Landschaft einen festen Punkt zu finden.

Über der berühmten Stadtsilhouette von Dresden wachsen Pyramiden empor und fliegen davon, einzelne Wucherungen gaukeln auf, und in dem Gewächs formt sich das Profil einer Raubkatze. Gierig öffnet es den Mund. Korybanten gebären ein rotes Samenkorn, das zu einem freundlichen Kopfwesen heranwächst; ihr Tanz ruft erotische Visionen auf. Getuschte unförmige Wesen gehen in einem Tausendfüßler auf, weitere Dämonen fressen sich gegenseitig auf. Ein schwarzer Vogel fliegt auf den Betrachter zu. Fred Gehler diagnostizierte "eine Landschaft beschädigter Figuren, mit einem Vogelmenschen als Herrscher." (1996, S. 61)

Aus diesem Chaos tritt die halbnahe Aufnahme einer Frau – der Reisenden – heraus, erst zerkratzt wie von einem liebeskummerkranken Mann, dann klar und deutlich, nur um sich in ein Schneckenhaus zu verwandeln. Ein farbiges Selbstporträt des Künstlers geht in Flammen auf, verwandelt sich und löst sich auf. Frühere Motive tauchen wieder auf, vermischen sich, gehen ineinander über. Die eigendynamischen Gebilde, so Claus Löser, bilden "als phantasmagorische Folie einen ironischen Kommentar zur Banalität der Wirklichkeit". (2011, S. 146)

Der Fluss der Zeit gebiert Gedankenwürmer, Mann und Frau finden zueinander. Im Tumult der Emotionen lacht eine Micky Maus und wird zerstört. Mit der Einfahrt in einen Bahnhof endet der Film. Zwei Männer steigen aus; für die anderen geht die Fahrt weiter.

Reaktionen.
In einem frühen Text über Dammbecks grafische Arbeiten und Filme hob sein Malerkollege Hans-Hendrik Grimmling 1980 das "Zweiwirkliche" und die "Überlappungen von Sichtbarem und Erdachtem" hervor, in denen immer auch "ein listiger Doppelsinn verborgen" sei. Inka Schube deutete "Metamorphosen 1" als Roadmovie: Die Begrenztheit des Lebensraumes der Reisenden "werde mit individuellen Visionen überschrieben bzw. in ihnen analytisch entfaltet." (S. 13) Für Claus Löser (2011, S. 146) gehört der Film zu den "frühen und damit vorgängerlosen Äußerungen unabhängiger Filmkultur in der DDR."

Archive:
Archiv der Akademie der Künste, Berlin
Filmmuseum Potsdam

Auswahlliteratur:
Lutz Dammbeck: Metamorphosen im Trickfilm. Animationsfilmretrospektive sozialistischer Länder. In: Sonntag, Nr. 3, 1979, S. 6
Fred Gehler: Bewegung gegen Schablone. Lutz Dammbeck: Grafiker und Animationsfilmer. In: Sonntag. 27.7.1980
Lutz Dammbeck. Grafische Arbeiten und Filme. Galerie Mitte, Dresden, 12.9.-23.10.1980 [mit einem Text von Hans-Hendrik Grimmling]
Lutz Dammbeck: Der Einfluss der Bildenden Kunst auf den Animationsfilm der DDR. In: Plateau. Driemaandelijks internationaal tijdschrift voor animatiefilm, 2. Jg., Nr. 3, 1981, S. 16-18
Fred Gehler: Lutz Dammbeck – Frühe Werke. In: Karin Fritzsche, Claus Löser (Hg.): Gegenbilder. Filmische Subversion in der DDR 1976-1989. Berlin 1996, S. 61-65
Claus Löser: Zeichenfilme aus dem Unterholz. Lutz Dammbeck und andere "Außenseiter". In: Ralf Schenk, Sabine Scholze (Hg.): Die Trick-Fabrik. DEFA-Animationsfilme 1955-1990. Berlin 2003, S. 161-175.
Lutz Dammbeck. Filme und Mediencollagen 1975-1986. DVD mit ROM-Bereich 2008 (Edition filmmuseum; 38) [Booklet mit Texten von Fred Gehler, Claus Löser und Bärbel Dalichow]
"Der spitze Bleistift regierte." Gespräch von Ruth Weinhold mit Lutz Dammbeck. In: Leipziger Volkszeitung, 14.9.2009, S. 24.
Inka Schube (Hg.): Re-Re-Education. Lutz Dammbeck Filme 1979-2003. Hannover 2010 [Sprengel-Museum Hannover, 19.5.-26.9.2010]
Claus Löser: Strategien der Verweigerung. Berlin 2011
Lutz Dammbeck: Besessen von Pop. Hamburg 2012
Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Lutz Dammbeck (Hg.): Lutz Dammbeck Filme. Berlin o.J. [2018]

(März 2024)

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