Jagdszenen aus Niederbayern

BR Deutschland 1968/1969 Spielfilm

Inhalt

Der 20-jährige Abram ist schwul – eigentlich nichts besonderes, aber in seinem Heimatdorf in Niederbayern wird er damit zum Außenseiter. Lange versucht Abram, den bösartigen Spott seiner Mitbürger zu überhören. Die als "Hure" verschriene Hannelore ist der einzige Mensch, der ihm Verständnis und Zuwendung entgegenbringt. Derweil steigern sich die Vorurteile der Dorfbewohner zu blankem Hass. Als sich herumspricht, dass Hannelore von Abram schwanger ist, eskaliert die Situation.

 

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Falk Schwarz
Jagd auf eine "Drecksau"
Mit Schaudern bleibt dieser Film im Gedächtnis. Die Welt in einem kleinen Dorf steckt voller Brutalität, Dummheit, Gewalt und Niedertracht. Wer sich nicht hineinfindet in diese dörfliche Gemeinschaft, der wird beschimpft, ausgegrenzt, verachtet und niedergemacht. Das Dorf weiß, wie es zu gehen hat und duldet keine Ausnahme. Martin Sperr hat das Bühnenstück geschrieben und spielt hier die Hauptrolle des Abram, des Dorfmechanikers, eines eher verschwiegenen Schwulen. Er wehrt sich nicht, wenn er gehänselt wird, aber seine angestaute Wut entlädt sich dann letztlich doch in einem wüsten Kampf mit Hannelore (Angela Winkler), die von ihm ein Kind erwartet und die er erwürgt. Daraufhin macht das Dorf mobil und mit Knüppeln bewaffnet suchen sie den Abram. Glücklicherweise findet die Polizei ihn eher als die lynchbereiten Dorfbewohner. Eine der schrecklichsten Szenen in diesem Gemisch aus Blut, Kot, Verwesung, Matsch und Gewalt ist die Schlachtszene eines Schweines. Das ist sicherlich auf dem Land nichts Besonderes und kommt täglich vor - aber im Kontext dieses Films wirkt es widerlich und beklemmend. Als die Männer dann in dieser Schlachtszene noch brutal versuchen, der „Dorfhure“ Hannelore den Slip auszuziehen, wird dieser dörfliche Klamauk zu einer bewussten Erniedrigung der Frau. Die anderen Frauen stehen daneben und tun - nichts. Leben ist hier nur möglich, wenn du dich einpasst. Und die untersten in der Hierarchie dieses Dorfes haben eben die schlechtesten Karten. „Ich habe ihn halb tot geschlagen, ich schwör’s. Ich kann nichts dafür, dass eine Drecksau draus geworden ist“ - das sagt die Mutter von Abram (unbeugsam konsequent gespielt: Else Quecke) über ihren Sohn. Er nimmt es schweigend hin. Das Fremde abzuwehren - das hatte 1969 zwar noch eine andere Bedeutung als heute. Aber aktuell ist es allemal. So ist dieser Film auch eine Parabel über unser Sein - er ist so modern und zupackend wie am ersten Tag und bricht mit der Harmonielüge der bis dato gedrehten Heimatfilme. Ob Hans Deppe ihn vor seinem Tod noch gesehen hat?
Heinz17herne
Heinz17herne
„Es riecht wieder nach Schweinsbraten im Dorf, wie's zu sein hat am Sonntag“ ist's die Tagelöhnerin Barbara zufrieden. Wir schreiben das Jahr 1948 und mit der Währungsreform ist auch das gewohnte Leben ins Niederbayerische zurückgekehrt. Allerdings hat der Krieg nach wie vor seine tiefen Spuren hinterlassen. So lebt die verwitwete Bäuerin Maria, deren Mann nicht aus dem Feld zurückgekommen ist, nun mit ihrem Knecht Volker zusammen, was manch' böses Wort am Stammtisch hervorbringt. Marias inzwischen 18-jähriger Sohn Ernst, der unter einer Kriegsneurose leidet, gilt allgemein als geistesgestörter Dorftrottel.

Nachdem er in Landshut eine Haftstrafe wegen Homosexualität verbüßt hat, kehrt Barbaras Sohn Abram ins Heimatdorf zurück. Der 20-Jährige sieht sich sogleich mit anklagenden Worten Marias konfrontiert, er habe ihren debilen Sohn verführt, weshalb er nun so sei, wie er ist. Abram, der nicht zu seiner Homosexualität steht, will vor allem sich selbst beweisen, dass er ein „richtiger Mann“ ist, als er mit dem Dienstmädchen Hannelore, die im Dorf allgemein als „Hure“ verunglimpft wird, anbändelt. Hinter der ist freilich der halbe Ort und insbesondere der Knecht Georg her, welcher sich als Alteingesessener gute Chancen ausrechnet, versteht er sich doch bestens mit den Honoratioren des Dorfes, allen voran mit dem Bürgermeister und seiner Gattin, dem Pfarrer und der Lehrerin. Denn bei Abram und seiner Mutter Barbara handelt es sich um Flüchtlinge, also um ortsfremde Zugereiste, was schwer ins Gewicht fällt.

Hannelore, auch eine Außenseiterin im Dorf, gesteht Abram, von ihm ein Kind zu erwarten und verlangt von ihm, dass er sie sogleich heiratet. Er beantwortet ihren hilflosen Erpressungsversuch mit einem Wutanfall, bei dem er sie im Affekt ersticht. Nachdem die Metzgerin Abram angezeigt hat, wird auf seine Ergreifung eine hohe Belohnung ausgesetzt. Es beginnt eine regelrechte Menschenjagd, an der sich alle beteiligen – von der Magd Zenta bis hin zum alten ehemaligen Knecht Hiasl...

Martin Sperr hat mit „Jagdszenen aus Niederbayern“ den Auftakt einer „Bayrischen Trilogie“ geschrieben, uraufgeführt am 25. Mai 1966 am Theater Bremen, es folgten 1968 „Landshuter Erzählungen“ und 1971 „Münchner Kindl“ (später umbenannt in „Münchner Freiheit“). Sperr spielt in der Filmadaption von Peter Fleischmann die Hauptrolle des Mechanikers Abram selbst u. a. an der Seite von Angela Winkler und Hanna Schygulla, die in ihren ersten Rollen in einem abendfüllenden Spielfilm Akzente setzten in einem Ensemble, das aus Profis und Laien vor der Kamera Alain Derobes besteht.

Beim Kinostart sorgte der Film für reichlich böses Blut vor allem in Niederbayern: So tumb, ausländer- und schwulenfeindlich seien die Bauern gar nicht, wie Sperr und Fleischmann sie, so der Vorwurf, in denunziatorischer Absicht hinstellten. Auf dem Dorf haben es gesellschaftliche Außenseiter besonders schwer, denn eine weitgehende Anonymität wie in der Großstadt ist rund um den Kirchturm nicht möglich. Andererseits hat sich Abram dem kaum jüngeren Ernst, der in der Bühnenversion Rovo heißt, homoerotisch genähert, was seinerzeit auch in München zum Skandal gereicht hätte. Während das Themenbündel Krieg und Kriegsfolgen, Heimat und Fremde im Bühnenstück eine größere Rolle spielt, geht es im Film verstärkt um die (Außenseiter-) Rolle der Frau in einer männerdominierten und darin von der katholischen Kirche bestärkten Dorfgemeinschaft.

Pitt Herrmann

Credits

Kamera

Darsteller

Produzent

Alle Credits

Regie-Assistenz

Script

Kamera

Kameraführung

Kamera-Assistenz

Ausstattung

Maske

Kostüme

Ton-Assistenz

Mischung

Darsteller

Produzent

Herstellungsleitung

Produktionsleitung

Aufnahmeleitung

Dreharbeiten

    • 05.08.1968 - 06.10.1968: Unholzing, Ergoldsbach
Länge:
2315 m, 85 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 09.04.1969, 40545, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 1969, Cannes, IFF - Semaine de la Critique;
Kinostart: 29.05.1969, Landshut, Kronprinz;
TV-Erstsendung: 11.03.1977, ARD

Titel

  • Originaltitel (DE) Jagdszenen aus Niederbayern

Fassungen

Original

Länge:
2315 m, 85 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 09.04.1969, 40545, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 1969, Cannes, IFF - Semaine de la Critique;
Kinostart: 29.05.1969, Landshut, Kronprinz;
TV-Erstsendung: 11.03.1977, ARD

Digitalisierte Fassung

Länge:
85 min
Format:
DCP, 1:1,66
Bild/Ton:
s/w, Mono

Auszeichnungen

Prix Georges Sadoul 1970
Preis der 15 1969
  • Bester Deutscher Gegenwartsfilm und bester Deutscher Debutfilm
IFF Malaga 1969
  • Preis der Spanischen Filmclubs
  • FIPRESCI-Preis
IFF Locarno 1969
  • 1. Preis der Jury der Jungen
Jury der evangelischen Filmarbeit 1969
  • Film des Monats August 1969
Deutscher Filmpreis 1969
  • Filmband in Gold, Darstellerische Leistung
  • Filmband in Silber, Bester abendfüllender Spielfilm
FBW 1969
  • Prädikat: besonders wertvoll