Interview mit Andres Veiel

"Der Tod ist meistens wie ein Brennglas, in dieser Zone stellen sich die existentiellen Fragen"
Quelle: Dokumentarfilminitiative, © Mathis Hanspach
Andres Veiel

Einige Fragen an Andres Veiel, Regisseur ("Black Box BRD", "Der Kick", "Wer wenn nicht wir")

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts, dass Sie es häufig als Form ihrer Filme gewählt haben, jetzt auch wieder in einem Film über Beuys?

Für mich ist das Porträt nur relevant, wenn es über sich hinausweist und schafft, etwas Universelles zu erzählen. Mich interessieren die historischen und ökonomischen Verwerfungen, der politische und soziale Rahmen einer Biografie. Insofern ist das Filmporträt für mich auch nur der Rahmen, quasi das filmische Labor, das mir Erkenntnismöglichkeiten verschafft. Da die Biografie eine gewisse Zeitspanne umfasst, erzählt sie natürlich auch etwas über die historischen und ökonomischen Prägungen einer Person. Da kann es dann universell werden und in einen allgemein gültigen Raum weisen. Aus diesem Grund habe ich auch öfter zwei bis drei Biografien einander gegenübergestellt.

Was kann das Porträt und in Ihrem Fall die Biografie als filmische Form leisten?

Wenn man eine Biografie in Form einer Zwiebeldramaturgie erzählen kann, dann gewinnt man oft Einblicke, die überraschen. Einblicke, die sich den ersten Zuschreibungen widersetzen. Wenn sich Personen etwa ganz anders verhalten als erwartet. Es braucht wie gesagt das Universelle und Unerwartbare als Voraussetzung. Wenn sich zum Beispiel in "Black Box BRD" Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen, die als Antagonisten aufgebaut werden, in ihrem unbedingten Glauben an die Kraft des besseren Arguments so nahe kommen, dass der Antagonismus nicht mehr haltbar ist, dann sind das die Widersprüche und Überraschungen, die mich interessieren. Das ist für mich der Kompass.

Joseph Beuys, Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen in "Black Box BRD", Thilo, Rudi und Tillmann in "Die Überlebenden" – Sie haben sich in diesen Arbeiten immer Toten und damit zeitlich abgeschlossenen Biografien zugewandt. Wieso war das für Sie interessanter oder relevanter als das Porträt von Lebenden? - Ausnahme wäre "Der Kick", für die Sie dann auch eine ganz andere Form der Verarbeitung und Verdichtung gewählt haben.

Quelle: X Verleih AG, DIF, © dpa
"Black Box BRD" (2001)

Der Tod ist meistens wie ein Brennglas, in dieser Zone stellen sich die existentiellen Fragen. Das ist manchmal anstrengend, aber es gibt immer auch Belohnungen im Sinne verdichteter Erkenntnis. Manchmal brauche ich aber auch Stoffe, die ganz und gar todesfern und gegenwärtig sind. In "Die Spielwütigen" etwa habe ich mich mit jungen Schauspielern und ihren Lebensträumen beschäftigt.
Für mich ist das Arbeiten an Biografien wie eine Art 'Wiedervorlage'. Mich interessiert nicht das Aktuelle, keine Jahrestage. Wenn die Medienkarawane längst weiter gezogen ist, fängt meine Arbeit an. Dann kann ich den Blick auf eine Biografie werfen und sehen, ob die Fragen, die mich interessieren, schon beantwortet wurden.
Bei "Wer wenn nicht wir?" kamen zum Beispiel in der Beschäftigung mit der Beziehung der RAF-Ikone Gudrun Ensslin und dem gegen sein Lebensende quasi dem Wahn verfallenen Bernward Vesper ganz neue Aspekte in die RAF-Geschichtserzählung. Gerade wenn eine Biografie nicht von hinten aufgerollt wird, sondern man die Vorgeschichte betrachtet (nur als ein Beispiel die hochlyrischen Texte von Ensslin), dann sieht man, wohin sich eine Biografie auch hätte entwickeln können und dass sie lange nicht so zwangsläufig ist, wie sie oft erzählt wird.
Im Fall von Joseph Beuys war bisher nur wenig über den politischen Beuys zu hören. Mich interessiert vor allem die Verschränkung seines radikalen politischen Denkens mit seiner Biografie und seiner Kunst.

Die Themen RAF / Nazi-Historie / Geschichte der frühen BRD haben Sie in "Wer wenn nicht wir?" als Spielfilm verarbeitet – warum erschien Ihnen die dokumentarische Form hier nicht adäquat? Was kann eine fiktionale Form in Bezug auf eine Biographie leisten?

Die Entscheidung für den Spielfilm hat damit zu tun, dass viele der relevanten Stimmen nicht vor der Kamera auftreten wollten. Das war ja auch schon bei "Der Kick" der Fall.
Wenn also das Eigentliche nicht gesagt und gezeigt werden konnte, war es für mich in dem Fall konsequent, ganz in die Fiktion zu gehen. Animationen oder andere Mittel haben mich nicht interessiert, und ich bin auch kein Freund des Dokudramas, das ist ja eher eine Fernsehkonvention.