Beethoven

Österreich 1926 Spielfilm

Fritz Kortner – Bloß keine Behaglichkeit! 

DFF-Filmblog-Beitrag von Patrick Seyboth (filmportal.de), 31.07.2020
Fritz Kortner
Quelle: DFF
Fritz Kortner in "Der Ruf" (1949)

 

Am 22. Juli 2020 jährte sich zum 50. Mal der Tod von Fritz Kortner. Während Theaterfreund*innen sicher weit mehr mit diesem Namen anfangen können, mag er für viele Filmbegeisterte allenfalls noch vage bekannt klingen. Kortner, wer war das noch gleich? Zwanziger Jahre? Expressionismus? 

Eigentlich eigenartig, und eine unfaire Ironie der Geschichte. Denn zu Lebzeiten, obwohl nie ganz unumstritten, wurde er nicht selten mit Superlativen wie "Schauspiel-Titan" oder "Regie-Gigant" bedacht, und obwohl seine Bedeutung für die Bühne sicher noch nachhaltiger war, hat er doch eine ganze Reihe wichtiger Filme gedreht und genoss beträchtlichen Ruhm während der großen Zeit des deutschen Films in der Weimarer Republik – ein Ruhm, der leider auch eine sehr dunkle Schattenseite für Kortner hatte.  

1892 als Fritz Nathan Kohn in Wien geboren, hatte er in jungen Jahren ein schauspielerisches Erweckungserlebnis, als er am Burgtheater den Mimen Josef Kainz in Schillers "Räuber" sah: "Schlagartig wurde ich theaterhörig. Theaterliebeskrank lag ich danach tagelang fiebernd im Bett", schreibt Kortner in seiner Autobiographie. Seine eigene Karriere kam schnell in Schwung, bald stand er in Wien, dann in Mannheim und Berlin auf der Bühne, spielte in den großen Klassikern und prägte mit seiner Leidenschaft und seinem Nuancenreichtum den expressionistischen Schauspielstil - er wurde zum umjubelten Star.  

Bereits Mitte der Zehner Jahre war er auch auf der Leinwand zu sehen: zunächst in Sensationsfilmen von Harry Piel, dann in Dramen wie dem Beethoven-Biopic "Der Märtyrer seines Herzens" (1918, den Komponisten sollte er 1926 noch einmal verkörpern in "Beethoven"). Er spielte in Hauptwerken des filmischen Expressionismus, etwa den eifersüchtig halluzinierenden Ehegatten in Artur Robisons "Schatten" (1923) oder den fiesen Erpresser Nera in Robert Wienes Horrorklassiker "Orlacs Hände" (1926). Mehr am Realismus orientiert, doch nicht minder eindrucksvoll, war sein Spiel als "Dreyfus" (1930) und "Danton" (1931). Auch als Regisseur tat er sich bereits im Stummfilm hervor. Einen famosen Eindruck seines Händchens für Komik bietet seine erste Tonfilm-Regie "Der brave Sünder" mit Max Pallenberg, einem sehr jungen Heinz Rühmann und Dolly Haas. Ein verkniffener Oberkassierer gerät da gerade wegen seiner Überkorrektheit in die peinlichsten Unkorrektheiten – was Kortner und sein Co-Autor Alfred Polgar mit perfektem Gespür für Dialog- wie auch visuellen Witz umsetzen. 

Die Kehrseite seines Erfolgs: Fritz Kortner, jüdischer Herkunft, ein stets streitbarer Künstler und darüber hinaus zeitweise für die SPD engagiert, war schon lange vor Hitlers Machtübernahme das Ziel antisemitischer Angriffe. Für die Nazis war er geradezu der Prototyp des "jüdischen Kulturbolschewisten", der das Kranke und Verdorbene in die vermeintlich reine deutsche Kultur trägt. Später, im Hetzfilm "Der ewige Jude" (1940), war es auch wieder Kortner, der persönlich angegriffen und geschmäht wurde.  

Der Hass traf Kortner tief, aber er hatte früh genug geahnt, welche Konsequenzen er haben würde, und Deutschland verlassen. Die Schweiz, Wien, London, dann New York und Los Angeles waren Stationen seines Exils. Er spielte in amerikanischen Anti-Nazifilmen und arbeitete an Drehbüchern, konnte aber nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen. Sein ureigenstes Element war immer die deutsche Sprache gewesen, mit der er auf ganz besondere, bis in die kleinste Silbe bewusste Weise umging. Kortner war ein fanatischer und akribischer, bei Schauspieler*innen auch berüchtigter Textanalytiker und -arbeiter.  

So wundert es vielleicht etwas weniger, dass er nach dem Krieg und trotz des Holocaust und der Ermordung zahlreicher Verwandter als einer der frühesten Remigranten wieder in Deutschland arbeitete. Die grandiosen Erfolge, die er an deutschen Bühnen sowohl als Regisseur als auch als Schauspieler noch feiern sollte, ließen ihn allerdings nicht übermäßig versöhnlich werden. Er legte mit seinen Inszenierungen immer wieder den Finger in die Wunden deutscher Vergesslichkeiten und Lügen, klagte Obrigkeitshörigkeit und Selbstgefälligkeit des Wirtschaftswunderlands an. Auf der Bühne wie in der Gesellschaft: Jeden falschen Ton galt es zu bekämpfen, jede behagliche Routine aufzubrechen. Kortner war ein rückhaltloser Wahrheitssucher. In einem Interview sagte er: "Das, was ich mache, erscheint mir als so natürlich, dass ich immer wieder erstaunt bin, wie man es für so kämpferisch, ja revolutionär halten kann." 

Kraftvoller Beleg seiner Kompromisslosigkeit – und seiner Schauspielkunst! – ist der autobiographisch geprägte Film "Der Ruf", 1948/1949 von Kortner geschrieben und von Josef von Baky in einem realistischen, für die Zeit sehr ungewöhnlichen Wechsel von englischen und deutschen Dialogen inszeniert: Kortner spielt darin einen jüdischen Philosophie-Professor, der nach 15-jährigem Exil in den USA dem Ruf an eine deutsche Universität folgt – und feststellen muss, dass der antisemitische und nationalsozialistische Ungeist auch Jahre nach dem Krieg noch erschreckend lebendig ist. "Der Ruf" ist heute noch ein faszinierendes Zeugnis jener Zeit, allen Legenden vom Neuanfang Deutschlands, der "Stunde Null", diametral entgegengesetzt. Damals verschwand er gleich wieder aus den Kinos. 

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