England!

Deutschland 1999/2000 Spielfilm

Wartezimmer Berlin

Wenn man stirbt, wird es höchste Zeit für Utopien. Valeri (Ivan Shvedoff), dem nicht mehr viel vom Leben bleibt, hat eine: England! Dorthin wollte er mit Victor einmal reisen. Das hatten sich die beiden Freunde versprochen, als sie sich freiwillig zu der Sowjetarmee-Einheit meldeten, die 1986 nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl zu Räumungsarbeiten abkommandiert wurde. Ein ganz normaler, dreckiger Job, dachten sie. Nach ihrer Entlassung trennten sich ihre Wege. Nur Victor schaffte es zunächst bis nach Berlin. Hoffnungslos verstrahlt macht sich Valeri Jahre später gleichfalls aus der Ukraine auf den Weg. Mit dem Bus durch Polen, mit einer Luftmatratze in der Nacht über die Oder. Er strandet in einem Berlin der improvisierten Existenzen und dunklen Hinterhöfe. Eine Drehscheibe für osteuropäische Auswanderer, die von hier aus einen Neuanfang im Westen probieren. Der Freund bleibt verschollen. Die Zeit wird knapp. Aber sie reicht noch für den Anfang einer Liebesgeschichte zwischen Valeri und der Mafioso-Braut Maria (Anna Geislerová) und für eine neue Freundschaft zu dem Ikonenmaler Pavel (Merab Ninidze). Und sie reicht, um einmal die Wellen zwischen Calais und Dover zu sehen.

In "England!" wird Deutschland zur Transitzone. Mit dem staunenden Blick eines Fremden schaut der Film durch Busfenster auf Landschaften und Schrebergärten und auf ein schmuddeliges, chaotisches Berlin, in dem sich die unterschiedlichsten Ethnien und Szenen versammeln. Die Stadt gleicht einem überdimensionierten Wartezimmer für Passagiere, die noch nicht wissen, ob sie weiter reisen wollen oder ob sie ihr Glück bereits gefunden haben.

Quelle: Christian Buß, Birgit Glombitza (Red.): "Deutschland, revisited". (Katalog zur gleichnamigen Retrospektive im Kommunalen Kino Metropolis Mai - Juli 2004). Hamburg: Kinemathek Hamburg e.V., 2004

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