England!

Deutschland 1999/2000 Spielfilm

England!

Achim von Borries" Filmdebüt erzählt von einem Schicksal nach Tschernobyl


Raimund Gerz, epd Film, Nr. 9, 03.09.2001


"England!", lautete die Parole, mit der sich Valeris Freund Victor verabschiedete und aus der Ukraine nach Westen zog. Dorthin wollten sie gemeinsam gehen. Als Valeri sich auf den Weg macht, sind die Anzeichen seiner Strahlenkrankheit unübersehbar geworden. Denn Valeri und Viktor gehörten zu jenen Wehrpflichtigen, die nach dem Unfall in Tschernobyl zu Räumungsarbeiten abkommandiert wurden, meist ohne zu wissen, in welcher Gefahr sie sich befanden. In Berlin angekommen, kann Valeri seinen Freund nicht auftreiben und muss wenig später feststellen, dass Viktor der Krankheit bereits erlegen ist. Den Traum von England aber gibt Valeri nicht auf ...

Der DFFB-Abschlussfilm von Achim von Borries, auf Festivals vielfach ausgezeichnet, ist keine melancholische Meditation über das größte Umweltdesaster des ausgehenden Jahrhunderts und seine Folgen. Das Tschernobyl-Trauma, zu Beginn mit flirrenden, bräunlich unterlegten Bildern angedeutet, grundiert nur die Story, als Ereignis, das Valeris befristetes Leben plausibel machen soll. Das Motiv wird im Film nicht weiter verfolgt – vielleicht um zu zeigen, dass Tschernobyl kaum Spuren im westlichen Bewusstsein hinterlassen hat. Wahrscheinlicher ist, dass es dem Regisseur nicht in erster Linie um dieses Thema ging. "England!" ist vielmehr ein Road Movie, das von der Ukraine bis an die Küste der Normandie führt – das Meer ist offenkundig ein beliebter Fluchtpunkt für tödlich erkrankte Helden deutscher Kinoproduktionen –, zumeist aber durch Berliner (Sub-)Kulturen mäandert, in denen sich der Regisseur gut auszukennen scheint.

Von Borries vermeidet dabei die üblichen cineastischen Topi von der menschenabweisenden Großstadt. Sein Berlin, ein Sammelbecken von Menschen unterschiedlichster Herkunft, wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Moloch. Hier macht Valeri mit seinem ruhigen, aber bestimmten Wesen bald Bekanntschaften, findet Unterstützung auch von Menschen, die ihrerseits am Rande leben, und beginnt eine Liebesaffäre mit der Frau eines russischen Mafiabosses. Auf seinem Weg durch die verschiedenen Ethnien und Szenen tut der Film des Guten zuviel und produziert bisweilen jene Klischees, denen er sonst erfolgreich aus dem Weg geht: Etwa in der Darstellung der Russenmafia oder des eitlen und geschwätzigen Künstler- und Galeristenvolks, mit denen er Valeri, in einer durchaus interessanten Kombination, konfrontiert.



Die dramaturgische Konstruktion, den Zuschauer Valeris Erlebnisse aus dessen Perspektive wahrnehmen zu lassen, erzeugt in "England!" einen verfremdeten Blick auf die Boom-Town Berlin und das, was sich im Schatten der einstürzenden Altbauten abspielt. Zugleich verleiht sie dem Film, bei aller Tragik, eine gewisse Leichtigkeit und macht ihn zu einem unaufdringlichen Plädoyer für das Leben. Dass der Film diese Spannung durchhalten kann, verdankt er in erster Linie seinem Hauptdarsteller Ivan Shvedoff, der seine Figur zwischen Hilflosigkeit und Selbstbewusstsein, Niedergeschlagenheit und Lebenswillen auszubalancieren versteht. Etwas Besseres als den Tod, das weiß Shvedoff überzeugend zu vermitteln, findet Valeri für den verbleibenden Rest seines Lebens allemal.


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