Der Aufenthalt

DDR 1982/1983 Spielfilm

Ein Aufenthalt bis vor die Türe des Todes


Regine Sylvester, Tribüne, Berlin/DDR, 25.1.1983


"Eines Tages reingekloppt, eines Tages rausgekloppt, und dazwischen sind sehr viele lange Tage." Eine knappe Aussage von Hermann Kant über eine Zeit in seinem Leben. Des Mordes verdächtig in einem Warschauer Gefängnis. Achtzehnjährig. Die langen Tage brauchten lange Jahre, um von ihm beschrieben zu werden. "Der Aufenthalt" ist daraus geworden, erst ein Roman und nun ein Film. Wolfgang Kohlhaase schrieb das Drehbuch, Frank Beyer führt Regie.

Kant mag den autobiographischen Verweis nicht, aber ich glaube, daß es für das Publikum von Bedeutung ist, eine erlebte Geschichte zu sehen. So etwas konnte also geschehen. Das hat sich niemand ausgedacht, dass plötzlich der Finger einer Frau auf einem polnischen Bahnsteig auf einen jungen Deutschen inmitten Hunderter Kriegsgefangener zeigt – "Der da!" Wir verstehen es nicht, die erregte Frau spricht polnisch, aber den Finger verstehen wir und der Junge im Film: Zwei Posten holen ihn. Was dann kommt, wird "Aufenthalt" genannt, eine Unterbrechung in einem deutschen Lebenslauf. (…)

Mark Niebuhr soll ein Mörder sein. Der Deutsche versteht nichts, nicht Sprache, Umgebung, Anschuldigung. Einen Film lang spielt Sylvester Groth die Anstrengung des Begreifens seiner Situation, keine Szene ohne ihn. So sind auch wir über sein Schicksal nicht klüger. Wenn er die Situationen vorsichtig abtastet, suchen wir mit nach Signalen – der Schlag in den Rücken, die schweigende Verachtung des Arztes, der fette Hering zu Weihnachten. Alles hat seine Bedeutung. (…)

Der Film wirkt lange. Er setzt einen neuen Akzent in unserer antifaschistischen Tradition, und er erzählt von einem Jungen in großer Angst. Beides zugleich, das Thema steckt in einer Menschengeschichte.

Alle, die an ihm beteiligt waren, arbeiteten mit dem höchsten Anspruch an ihre Profession: Keine Chargen bei den Schauspielern, auch in den kleinsten Rollen spielen sie Menschen und keine Typen. Herausragend Fred Düren, Klaus Piontek, Hans-Uwe Bauer, Alexander van Heteren aus Holland oder Andrzej Krasicki aus Polen. Es ist gedacht, nicht kalkuliert. Das Szenenbild von Alfred Hirschmeier und Eberhard Geicks Kameraführung stellen die Atmosphäre des Gefängnisses in den Sinnen der Zuschauer her. Der Film hat Stimmung. Man muß hinsehen. Demonstratives kommt nicht vor. Alles erzählt die Geschichte mit – diese Ruine, die Arbeit mit dem Geräusch, mit dem Licht. Der Kostümbildner Joachim Dittrich hatte den wichtigen Einfall, daß die SS-Jacke zu groß sein muß, daß sie diesem Jungen nicht passen darf. Günther Fischers Harmonikamusik fügt in die Bilder Wehmut und Sehnsucht hinein, wortlos wird so noch eine andere Sprache geübt. Wieder einmal werden wir durch Wolfgang Kohlhaase an die Entscheidung eines Films durch sein Drehbuch erinnert. Er und Frank Beyer erzählen genau, knapp, assoziativ. So entsteht die geistige und stilistische Konsequenz dieses Films. Was ein Arrangement erzählen kann, braucht bei ihnen eben keine Worte mehr. Solche Regie macht aus einem stillen Film einen starken.

Rechtsstatus