Kurz und schmerzlos

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Kurz und Schmerzlos



Hans Schifferle, epd Film, Nr.10, Oktober 1998


Hamburg-Altona, das ist die neighbourhood von drei Freunden, dem Türken Gabriel, dem Griechen Costa und dem Serben Bobby. Im Lauf der Geschichte wird jeder der drei ein anderes Kettchen um den Hals tragen, das ihn auch charakterisiert: Gabriel einen kleinen Dolch, der für Kampf und Liebe steht, Costa ein goldenes Kreuz und Bobby eine protzige Goldkette. Gabriel, das ist also der Edle und Liebende im Trio, Costa der verrückte Heilige und Bobby der coole Möchtegern-Gangster. Vielleicht spielen sie auch nur Rollen im Leben, Rollen aus Filmen von Michael Cimino, Scorsese und De Palma. Der 24jährige Regisseur Fatih Akin könnte einer von ihnen sein. Er hat eine ähnliche Lebenserfahrung und – untrennbar damit verknüpft – eine ähnliche Kinoerfahrung wie seine Hauptfiguren. Das verleiht seinem Erstling eine schöne Authentizität, vor allem was die Träume seines Trios betrifft, das eindrucksvoll dargestellt wird von drei jungen, noch unbekannten Darstellern.

Bei einer großen Hochzeitsfeier sehen sich die drei wieder. Gabriel nämlich ist einige Zeit im Knast gewesen. Wie in "The Deer Hunter" und vielen anderen amerikanischen Filmen stellt die Hochzeit bei Akin (es heiratet Gabriels Bruder) einen Wendepunkt und Neubeginn für die Protagonisten dar: in Sachen Leben, Liebe, Karriere. Und das Fest bietet die letzte Gelegenheit, die drei Freunde, wie sie gemeinsam lachen, auf einem Foto festzuhalten.

Gabriel, der sich eigentlich immer noch verantwortlich fühlt für seine zwei Kumpel, will sich nach seinem Gefängnisaufenthalt nichts zu schulden kommen lassen und bald mit dem Geld, das er jetzt als Taxifahrer verdient, in die Türkei gehen. Vielleicht ist dies aber auch nur Gabriels Illusion. Ihr Freund Gabriel wolle halt erwachsen werden, und dabei stünden sie ihm im Wege, meinen Costa und Bobby. Der langhaarige Costa klaut immer Autoradios. Zudem hat ihn gerade seine langjährige Freundin Ceyda, Gabriels Schwester, verlassen. Costa ist ein Chaot und ein herzensguter Kerl. Nach einem Gerangel mit einem bestohlenen Autofahrer erkundigt er sich bei dem Opfer, ob auch alles okay sei mit ihm. Mit seiner Mähne wirkt Costa immer mehr wie eine Christus-Figur. Später, wenn alles auseinanderbricht zwischen den Freunden, hetzt er verzweifelt durch die Strassen seiner Stadt, wie Robert die Niro in "Mean Streets". Etwas Märtyrerhaftes haben sie übrigens alle drei an sich, diese seltsamen heiligen drei Könige von Altona. Wie sie, jeder für sich, immer wieder auf die Knie fallen, das gehört zu den zentralen Bildern des Films.

Bobby schließlich will ein Yuppie-Gangster werden, schick und clever. Bei jeder Gelegenheit lacht er das Lachen des Abenteuers. AI Pacino aus "Scarface" ist sein Vorbild. So dient er sich dem Albaner Muhamer an, einem Zuhälter und Waffenschmuggler mit dickem Benz. Ralph Herforth, bekannt als Schurkendarsteller in Lars-Becker-Krimis, spielt diesen kleinen Mafiaboß vortrefflich: als einen fiesen, harten Typen, der aber auch eine eigene Geschichte hat und zwischen Angst und Feigheit schwankend den Gangsterritualen ausgesetzt ist. Bobby hat sich auch schon eine tolle Freundin geangelt, die er wahrscheinlich liebt. Es ist die Deutsche Alice (Regula Grauwiller, der einzige Lichtblick in "Cascadeur"), die einen Schmuckladen namens "Kismet" hat. Und Bobby will gerade das Schicksal herausfordern, er will die Freunde und die Geliebte provozieren. Weil ihm Gabriel zu edel und väterlich ist, weil ihm Costa zu einfältig erscheint, weil ihm Alice zu selbstbewußt ist. Bobby, der Angeber, wie ihn Aleksander Jovanovic spielt, ist so etwas wie die junge Hamburger Version von Christopher Walken.

All die verschiedenen kulturellen Einflüsse und Traditionen sind spürbar in Akins Spielfilm-Debüt. Doch sie werden nicht plakativ in den Vordergrund gedrängt wie sonst in deutschen Filmen. Akin erzählt geradlinig eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und Verrat. Er ist dabei mehr interessiert an seinen Charakteren, denen er allen ein gewisses Maß an Zuneigung entgegenbringt (selbst Mephisto Muhamer) als an formalen Spielereien. Der visuelle Stil ist zurückhaltend: von der Helligkeit des Hochzeitsfests führt der Weg der drei buddies allmählich ins Dunkel von Sackgassen und Hinterhöfen ohne Ausweg. Was vor allem einnimmt für diesen kleinen, packenden Film: daß Akin es wagt, auch einmal ernst zu sein, leidenschaftlich, ja pathetisch in manchen Szenen. Das ist schon ein Wagnis in einer Zeit, in der im Kino zuviel nur noch ironisch gemeint ist.

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