Fallada - Letztes Kapitel

DDR 1987/1988 Spielfilm

Internationales Spiel. Jörg Gudzuhn als Fallada


Helga Schütz, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 23, 5.6.1988

Die Szene verlangt einen betrunkenen Mann, einen Verzweifelten, der sich einreden will, es wird schon gehn, wir werden schon durchkommen, wir sind ja immer durchgekommen, schlecht und recht – bis zum heutigen Tage. Böse Zeiten. Und die Mitschuld sitzt tief. Sie ist sogar dingfest. Ein Toter liegt auf dem Gewissen. Der Mann hat in Jugendzeiten einen Schulfreund während eines Duells erschossen, er selber trug nur eine Narbe davon – direkt unter dem Herzen. Der Mann ist ein erfolgreicher Schriftsteller, und er ist wieder einmal ein Versager. Gerade haben die Kulturbehörden ein Filmszenarium von ihm abgelehnt. Doch er will es ihnen zeigen. (…)

Ich stand am Rande und schaute beim Drehen zu, sah, wie Jörg Gudzuhn bei
nahe wörtlich den Finger auf die Wunde dieses Schriftstellers legte. Meine erste Empfindung: Der Mann übertreibt. Doch allmählich bekam die Szene ihren Wert und ihre Bedeutung, die Übertreibung gehört dazu. Die Szene würde nicht Teil eines dokumentierten Lebens, sondern Teil einer vom Schauspieler Jörg Gudzuhn gestalteten Kunstfigur sein. Ein Gudzuhn-Fallada. Die Aktentasche ablegen, das Hemd aus der Hose zerren, dieser Blick, das Danebengreifen – auf der Leinwand wurde aus der beobachteten Summe ein Ganzes, aus der Übertreibung das richtige, besser gesagt, das anrührende Maß. Schuld. Einsamkeit. Erotische Spannung. Alkohol und Maiglöckchen. Unnennbares zwischen Gut und Böse, alles war in diesem Raum.

Wenn ich Gudzuhns Spiel beschreiben sollte, würde ich es in seinen besten Augenblicken international nennen. Damit würde ich nicht nur andeuten wollen, dass er ein sehr guter Schauspieler ist und welche Vergleiche er aushalten könnte, sondern damit möchte ich vor allem die Art seiner Darstellungskunst beschreiben. Er, so meine ich, handelt nicht mit Gesten, die er auf der Straße aufgelesen hat. Beobachten und Nachmachen sind ihm gleichsam nur Material. So wie ihm die genaue Kenntnis der Hans Fallada-Biographie und die Lektüre seiner Romane nur eine selbstverständliche Voraussetzung waren, um das Spiel zu beginnen. Bei Gudzuhn gesellen sich zu Menschenkenntnis, Beobachtungsgabe und Lesefleiß vor allem noch Mut und Talent. Talent aber bleibt zum großen Teil Geheimnis, und so fange ich an zu spekulieren. Vielleicht ist es der doppelt und dreifache Sinn hinter einer Geste – wenn er die Hände hebt, wenn er eine Umarmung haargenau zwischen Abwehr und Entschuldigung enden läßt. Vielleicht ist es bei aller Fertigkeit seine Ausstrahlung, seine Natur – vielleicht sind es seine Hände, zum Beispiel, wenn er mit dem Rest einer Zigarette die nächste anzündet. Immer scheint mir sein Spiel aus der Zeit und aus der Provinz hinauszuführen.

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