Die Nacht singt ihre Lieder

Deutschland 2002-2004 Spielfilm

Die Nacht singt ihre Lieder



Josef Lederle, film-dienst, Nr. 4, 19.02.2004

Kein anderer deutscher Filmemacher hat den insistierenden Blick so kultiviert wie Romuald Karmakar. Sein filmisches Auge kennt weder Scheu noch Scham, weshalb seine Arbeiten stets mit verdrängten, unterbelichteten Wirklichkeiten konfrontieren. Das Monströse hallt durch all seine Filme, sei es in Gestalt brachialer (Alltags-) Rituale ("Coup de Boule", "Gallodrome") oder künstlerischer Grenzüberschreitung ("Demontage IX"), sei es in der schonungslosen Vergegenwärtigung historisch-kriegerischer Exzesse ("Das Himmler-Projekt", fd 35 036). Selbst in "Manila" (fd 34 319) ging es nicht primär um eine Gruppe banaler deutscher (Sex-)Touristen, sondern um einen exemplarischen Blick in den (Zerr-)Spiegel der Gesellschaft. Doch was sich in der Anverwandlung des Kirchhoff-Romans bereits andeutete – der Verlust an Authentizität –, setzt sich in der Theateradaption von Jon Fosses minimalistischem Drama "Die Nacht singt ihre Lieder" beschleunigt fort: Die Erkundung seelischer Befindlichkeiten der "neuen" bürgerlichen Mitte hat nichts Bezwingendes, sondern tendiert ins Beiläufige. Der quälende Beziehungsclinch eines jungen Berliner Paares zieht sich in die Länge und lässt seltsam unberührt.

Dabei beginnt der Film wie eine Offenbarung: mit einer schwebenden Kamerafahrt auf eine Balkontür zu, hinter der sich zögerlich und verschwommen die Konturen einer rauchenden Frau abzeichnen. Sie bleibt namenlos, ebenso wie der Mann, zu dem sie ins Zimmer zurückkehrt. Ihr tonloser Satz "Ich halt’ das nicht mehr aus", an der Kamera vorbei ins Leere gesprochen, eröffnet eine Reihe zermürbend- vergeblicher Monologe, weil der Mann meistens lethargisch in sein dickes Buch starrt, das sich mit den Verbrechen der Wehrmacht in Polen beschäftigt, wie man im Nachspann lesen kann. Die Herkunft des Stoffs vom Theater wird nicht kaschiert, eher sogar akzentuiert; allerdings ist das Duell der "Wortbomben" in eine nuancierte Kameraarbeit eingebettet, die ein raffiniertes Tableau nach dem anderen entwirft. Atmosphärisch dichte Bilder eines Kammerspiels, deren Ränder wie die des Stoffs ins Dunkle zerfließen. Gegeben wird "eine Liebesgeschichte, die nicht glücklich endet", nordisches Psychodrama, ein verlorener Kampf, dessen Motive und Triebkräfte mehr im Nichtgesagten, in den Pausen und Löchern zu erahnen sind. Er, ein Schriftsteller, den niemand drucken will, brütet vor sich hin und setzt seit Ewigkeiten keinen Fuß mehr vor die Tür; sie, soeben Mutter geworden, lechzt nach Leben, Freunden, Gesprächen und Unterhaltung. Eine drückende Unheilsspirale, die durch den Besuch seiner Eltern durchbrochen werden könnte. doch die Stippvisite findet im Staubmantel statt. Das alte Paar gleicht dem jungen, nur dass die Gesichter älter und die Biografien vernarbter sind.

Wer hofft, mehr über die Figuren zu erfahren oder Hintergründe zu erahnen, sieht sich getäuscht. Allenfalls die schreiende Unfähigkeit, miteinander mehr als leere Floskeln zu tauschen oder sich körperlich zu berühren, bietet einen minimalen Aufhänger. Ebenso schnell, wie der lautstarke Überfall durch die geräumige Wohnung brandete, senkt sich die lähmende Stille übers Set. Zurück bleiben die hilflosen Kombattanten der verlorenen Zweisamkeit, plus ein Säugling im Kinderwagen, den man weder hört noch sieht, der aber willkommener Anlass ständig wiederholter Stammelsätze ist, die einen Rest von Gemeinsamkeit suggerieren. Nachmittags geht die Frau einkaufen; abends hat sie sich mit Marte, einer Freundin, verabredet. Wenn ihr die Kamera durch die Straßen folgt, sie in einem Café oder beim Tanzen in einer Disco zeigt, bleibt offen, ob dies die Bilder im Kopf ihres Mannes sind. Klar ist, dass er auf sie wartet; wahrscheinlich kann er ihre Abwesenheit schlecht ertragen. Jedenfalls sehen er und die Kamera lange zu, wie sich die Frau für den Abend herrichtet, schminkt und aufreizend kleidet; später lehnt er öfters auf dem Balkon und starrt angestrengt in die Ferne. Tief in der Nacht kommt es zum finalen Streit, bei dem sie nach langem Hin und Her seine Verdächtigungen bejaht und einen Liebhaber aus der Tasche zieht: Baste, der im nächsten Augenblick im Türrahmen steht. Mit ihm will sie künftig leben. Schon stopft sie Kleider und andere Dinge in eine Tasche, überlegt es sich jedoch, folgt dann doch Baste, um sich erneut eines anderen zu besinnen. Dies alles ist ungeachtet des hysterischen Überschwungs der Handlung mit langen Takes und distanzierten Perspektiven gefilmt, so, als gelte es, das Geschehen zu analysieren oder sich einen Reim auf die Vorwürfe und Entgegnungen zu machen. Dem widerspricht der strikte Anti-Psychologismus der Vorlage, die eher die Mechanik der Agonie seziert als die Psychodynamik eines Paares in Augenschein zu nehmen, wie dies jüngst etwa Oskar Roehler in "Der alte Affe Angst" (fd 35 906) versuchte. Indem Karmakar den lakonischen Gestus Fosses übernimmt und durch seine streng beobachtende Inszenierung zusätzlich steigert, bleibt viel Raum für Beobachtungen und Fragen, etwa nach dem Vermögen, von dem das Paar lebt und seine repräsentative, nahe der Berliner Friedrichstraße gelegenen Wohnung unterhält. Auch hat man wohl selten eine derart abwesende Elternschaft bei einem Säugling erlebt, der im Grunde nicht mehr als ein Requisit darstellt. Karmakars Versuch, das Stück durch pointiert ausgewählte Musik, die jungen Schauspieler und raffiniert kadrierte Bilder zu einem Film über einen Aspekt der deutschen Gegenwart zu machen, mag als interessante Theateradaption relevant sein, als verallgemeinerbare Annäherung an eine großstädtische Beziehungsrealität tut sie sich schwer.

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