Im Juli

Deutschland 1999/2000 Spielfilm mit Animationsteilen

Im Juli

Fatih Akins Liebesmärchen: eine grandiose Wundertüte voll Kitsch und Poesie



Hans Schifferle, epd Film, Nr. 9, 02.09.2000

Es beginnt wie ein Film aus dem Zyklus junger deutscher Gangsterballaden, zu dem Fatih Akin mit dem melodramatischen buddy movie "Kurz und schmerzlos" selbst einen bemerkenswerten Beitrag geliefert hat. Auf einer einsamen Landstraße in Südosteuropa treffen kurz nach dem Schauspiel einer Sonnenfinsternis zwei merkwürdige junge Männer aufeinander: der coole Berliner Türke Isa, der eine Leiche in seinem Benz versteckt hat, und der nervöse Tramper Daniel, ein Typ, der geradewegs aus dem Nirgendwo zu kommen scheint. Doch Fatih Akins neuer Film handelt nicht vom Tod, sondern von der Liebe, nicht von der Finsternis, sondern vom strahlenden Licht. Es geht darin geradezu um eine Chaostheorie der Liebe und um die magische Logik des Erzählens, wie wir sie immer häufiger im romantischen europäischen Kino wiederfinden, von Tom Tykwers "Lola rennt" bis zu Julio Medems "Die Liebenden des Polarkreises".

Isa und Daniel wollen beide nach Istanbul. Auf dem langen Weg dorthin erzählt Daniel Isa und uns Zuschauern seine Story, wahrlich eine Geschichte aus 1001 Nächten on the road. Rückblende: Daniel ist ein schüchtern-tolpatschiger Referendar für Mathe und Physik an einem Hamburger Gymnasium. Aber all seine Berechnungen sind eigentlich überflüssig, weil längst die Mächte von Zufall und Schicksal am Werk sind. Es ist Sommer, und Daniel hat gerade seinen letzten Schultag absolviert. Die Ferien stehen vor der Tür. Und der junge Lehrer wird bald zum Lehrling des Lebens. Die Schmuckhändlerin Juli, ein flippiges und weises Girl, hat schon lange ein Auge auf den kleinen, unbeholfenen Spießer Daniel geworfen. Seine Traurigkeit rührt sie an, und dann hat sie noch das Gefühl, dass einfach mehr in ihm steckt. Sie verkauft ihm einen Ring mit einer Sonne und prophezeit ihm, dass er bald seine Traumfrau finden werde. Er würde sie daran erkennen, dass sie in irgendeiner Form eine Sonne an sich trage. Dabei strahlen Julis Augen wie der helle Sonnenschein. Daniel und Juli, gespielt von Moritz Bleibtreu und Christiane Paul, sind natürlich das Traumpaar von Akins Liebesmärchen. Eigentlich ist das allen klar, nur nicht dem Simplicissimus Daniel.

Von der Screwball Comedy bis zu den Werken Bressons: das sind wahrscheinlich die schönsten Liebesfilme, in denen zwei – gefangen im Zustand der Ahnung – einen langen Umweg gehen müssen, bis sie endlich zueinander finden. Auch Daniel und Juli erleben solch eine Suspense-Geschichte der Emotionen.

Irrungen und Wirrungen nehmen ihren Lauf. Daniel glaubt, seine Sonne bei einer Party entdeckt zu haben: in der jungen Türkin Melek, die aber nur auf der Durchreise ist nach Istanbul. Er will diese Melek unbedingt wiedersehen und beschließt, ihr zum Bosporus nachzufahren. Gerade als er Hamburg verlässt in seinem klapprigen Hippie-Mobil, hält ihn eine Tramperin auf. Es ist Juli, die betrübt darüber ist, dass Daniel sie bei jener Party gar nicht mehr wahrgenommen hat. Sie will einfach nur noch raus aus der Stadt.

Ein fantastischer Trip für beide durch Südosteuropa, der zugleich auch eine psychedelische Reise ist hinein ins Labyrinth der Liebe. Ein Road Movie als magical mystery tour. Und es geht nicht gen Westen wie so oft in Road Movies, sondern in den Osten, an die Pforten des Orient. Dabei beginnen die exotischen Gefilde in Akins selbstironischem Film, der gekonnt mit den Versatzstücken der Folklore spielt, bereits in Bayern, wo die Operettendiva Monika Dahlberg einen kleinen Auftritt als Wirtin hat. In Wien, der nächsten Station von Daniel und Juli, gibt es dann eine der schönsten Szenen des deutschen Kinos der letzten Jahre, einen wunderbar melodischen Moment. Da liegen die zwei des Nachts als blinde Passagiere auf einem Donaukahn, haben Hasch geraucht und betrachten den Lauf der Sterne. Und dann wird auch noch der alte Hit "Blue Moon" gesungen. Umarmt euch endlich, möchte man ihnen zurufen, diesen Gefährten auf amouröser Odyssee.

Blue Moon: Der Mond soll bald unerbittlich zuschlagen. Daniel, der getrennt wurde von Juli, wird von der geheimnisvoll lächelnden, ungemein sinnlichen Luna in ihrem schrillen, alten Minibus nach Budapest mitgenommen. Ein karnevaleskes Intermezzo findet dort statt, in dem Luna den armen Daniel becirct und beklaut. Ausgerechnet den Ring mit der Sonne nimmt sie ihm ab, den er von Juli in Hamburg bekam. Vielleicht will ihn Luna auch nur auf die Probe stellen: wieviel ihm wohl der Ring und die Beziehung zu Juli bedeuten. Daniel jedenfalls hetzt durch die Magyaren-Metropole, um seinen Ring zu sichern.

Im Grunde erzählt Akin eine Initiationsgeschichte. Daniel, der fool for love, muss lernen, über seinen eigenen Schatten zu springen. Er muss lernen, Grenzen zu überschreiten. Eine tolle Szene, in der Akin selbst als Grenzbeamter auftritt, spielt dann auch an einer kleinen Grenzstation zwischen Ungarn und Rumänien. Daniel und Juli treffen sich dort zufällig wieder, ganz nach dem Motto lost and found, das den Film durchzieht. Aber der Beamte will sie nur passieren lassen, wenn sie verheiratet sind. Also spielen sie das frisch vermählte Paar. Nicht nur die Landesgrenzen öffnen sich dabei, sondern auch die zwischen Fantasie und Wirklichkeit, Spiel und Wahrheit.

Daniel hat sich allmählich zu einem richtigen Abenteurer der Liebe entwickelt. Und Bleibtreu ist gut als verhinderter Indiana Jones im wilden Balkan. Aber immer noch hat er das Ziel im Kopf, den fernen Traum Melek, ohne den Weg zu erkennen, die traumhafte Nähe von Juli.

Die Reiserouten und die Erzählstränge laufen ineinander auf jener einsamen Landstraße, auf der Daniel und sein Zuhörer Isa Richtung Türkei unterwegs sind. Der Flashback ist beendet und der Showdown in Istanbul steht bevor, in dem sich alles aufklärt: wer zu wem gehört und was die Leiche in Isas Kofferraum zu bedeuten hat. Am Ende stehen zwei Liebesgeschichten und ein Todesfall.

Fatih Akins Ferienfilm ist eine grandiose Wundertüte voll Kitsch und Poesie, Klamauk und Melodram, großen Gesten und schönen Details. Ein Sommernachtstraum mit Narren und Gauklern, Sirenen und Rüpeln und einer zauberhaften Christiane Paul, die als Julie mit Rastazöpfchen deutsch und exotisch zugleich wirkt und das Wunderbare Realität werden lässt.

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