Im Juli

Deutschland 1999/2000 Spielfilm mit Animationsteilen

Im Juli


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 17, 15.08.2000

Mit „Kurz und schmerzlos“ (fd 33 374) gelang Fatih Akin ein außerordentliches Debüt: ein atmosphärisch dichter Gangsterfilm made in Germany, angesiedelt im Milieu deutsch-türkischer Kleinkrimineller, die mit den ethischen Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert werden. Nach dieser ernsten, fast existenzialistischen Fabel verwundert es zunächst, dass sich der inzwischen 27-jährige Akin für seine zweite Regiearbeit auf eine Mischung aus ganz anderen Genres einließ, die gerade im deutschen Film mit vielen Altlasten behaftet sind: Komödie, Liebesfilm und Road Movie. „Viele werden sagen“, so Akin vor den Dreharbeiten, „was macht der jetzt für’n trivialen Schwachsinn, reine Kunstfiguren und so weiter... Dies ist ein Liebesfilm – und ich werde ihn mit nichts anderem machen als mit Liebe.“ Tatsächlich scheint es diese ebenso professionelle wie unbeirrt „störrische“ Einstellung zu sein, die letztlich über alle sterilen Reißbrett-Entwürfe deutscher Allerweltskomödien triumphiert und einer angenehm leichten, nie leichtfertig-seichten Erzählhaltung den Weg bahnt. Es mag vermessen sein, Vorbilder wie Howard Hawks’ „Leoparden küßt man nicht“ (fd 13 905) oder Peter Bogdanovichs „Is’ was, Doc?“ (fd 18 006) zu bemühen, obwohl sich thematische Verwandtschaften sowie Parallelen in den zentralen Rollen erkennen lassen: Aus dem täppischen, weltverlorenen Wissenschaftler wird bei Akin ein nicht minder „lebensuntauglicher“ Referendar aus Hamburg, der sich auf eine aberwitzige Reise voller Turbulenzen, Gefahren und Abenteuer begibt, auf die ihn eine selbstbewusste, ebenso ausgeflippte wie standfeste junge Frau schickt, auf dass er einen Weg zu sich selbst und zugleich zu ihrem Herzen finde. Auch jenseits solcher thematischen Bezüge kann Akin erhobenen Hauptes auf die Vorbilder blicken: Es verlangt Respekt, mit welcher Eleganz und welch selbstbewusstem Gespür für Rhythmus, Komik und märchenhafte Romantik er seine Geschichte entwickelt.

„Im Juli“ ist ein Sommerfilm, dessen von Wärme und Licht durchflutete positive Atmosphäre man regelrecht zu spüren meint. Das Licht der Sonne wird denn auch zum Sinnbild für jenes (Liebes-)Glück, das sich die etwas esoterisch veranlagte, ansonsten aber bodenständige, unbeirrt romantische Juli erhofft. Sie arbeitet als Schmuckverkäuferin und hat einen kleinen Straßenstand, von dem aus sie täglich den linkischen Referendar Daniel auf seinem Nachhauseweg von der Schule beobachtet und in dem sie gegen jede Vernunft, aber voller innerer Überzeugung ihren „Mann fürs Leben“ sieht. Zwar geht ihre fein gesponnene Intrige zunächst daneben: Daniel folgt nicht ihr, sondern einer anderen attraktiven jungen Frau, auf deren Bluse er das wegweisene Symbol der Sonne entdeckt. Doch während der dadurch in Gang gesetzten Reise durch den kompletten Osten Europas begegnen sich Juli und Daniel immer wieder, wobei Daniel in ihr lange Zeit eher den nervigen Kumpel als die „Frau fürs Leben“ sieht. Viel zu sehr hat er sich in die Idee verbissen, dass diese die schöne Melek sei, die er nach der „magischen“ Begegnung in Hamburg in Istanbul wieder zu finden hofft. Bis dahin stehen ihm aberwitzige Abenteuer in Österreich, Ungarn, Rumänien und der Türkei bevor, die ihn seiner bisherigen Existenz berauben und ihn teilweise wortwörtlich in einen halluzinierenden Zustand ohne Bodenhaftung versetzen.

Souverän stattet Fatih Akin die gewiss nicht neue Geschichte mit erzähltechnischen Kniffen aus und schafft damit einen explizit im Filmischen verankerten narrativen Bilder- und Szenenfluss. Spielerisch bricht er die Chronologie der siebentägigen Ereignisse auf, indem er die ersten zwei Drittel als ausführliche Rückblende erzählt, wobei ihm eine fulminante Eröffnungsszene gelingt, die in der ländliche Einöde Rumäniens just im Moment der Sonnenfinsternis im Sommer 1999 angesiedelt ist und attraktiv die Balance zwischen Verrätselung und süffig-spektakulärer Genrespielerei hält. Später wechselt er unbekümmert zur Handkamera, lässt sein Liebespaar schwebend vom Boden abheben oder reiht rasante Stunts an ein verspieltes Georges-Méliès-Zitat, wobei ihm die agile Kamera fließend-elegante Anschlüsse und visuelle Bezüge ermöglicht. Dank der nicht minder pointierten Montage stellt sich ein Rhythmus ein, den Akin selbst noch in jenen delirierenden Szenen kontrolliert, in denen Daniel in drogenbedingte Trance versinkt. Dass die Geschichte so explizit filmisch erzählt wird, ist die eigentliche „Sensation“, soll aber nicht übersehen lassen, mit welch zweckdienlicher Entspanntheit sich Moritz Bleibtreu und Christiane Paul in ihre Rollen fügen; dennoch sind es nicht selten die episodisch eingefügten Nebenrollen, die den beiden mehrfach die Schau stehlen – allen voran Branka Katic („Schwarze Katze, weißer Kater“, fd 33 507), die mit ihrer spielerisch-erotischen Körpersprache genau den richtigen Ton zwischen anarchischer Verrücktheit und lustvoller Ironie trifft, die dem Film Programm ist.

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