"The Past is Not Another Country: Archive anders machen" ist der Name eines Projekts mit Filmvorführungen, Gesprächen und Interventionen von SİNEMA TRANSTOPIA und DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, das am kommenden Dienstag, 15. Juli, zu einem Filmprogramm über "Bruchlinien des Exils" ins Kino des DFF einlädt.
Das deutsche Filmerbe zu bewahren und zugänglich zu machen, ist (zusammen mit anderen Institutionen) die zentrale Aufgabe des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum. Aber was genau ist eigentlich das deutsche Filmerbe und wer legt dies fest? Nach welchen Kriterien und Auffassungen werden Filme in Archivbestände aufgenommen? Und wie verhält es sich mit Filmen von transnationalen, exilierten oder migrantisch geprägten Regisseur*innen, die in Deutschland entstanden sind? Sie fallen oft hinten runter, wie Can Sungu vom SİNEMA TRANSTOPIA betont.
Das will das Projekt "The Past is Not Another Country: Archive anders machen" jetzt ändern. Gefördert vom Hauptstadtkulturfonds und der Stadt Frankfurt am Main haben sich SİNEMA TRANSTOPIA und das DFF zusammengetan, um Archivarbeit neu zu denken und anders zu machen.
Bereits im April gestartet, ist das Projekt zunächst auf zwei Jahre angelegt. Ziel ist, Praktiken des Sammelns, Präsentierens und Vermittelns zu hinterfragen und weiterzudenken sowie verdrängten und ausgelöschten Filmgeschichten neue Sichtbarkeit zu geben. Dabei greifen verschiedene Ansätze ineinander: Zunächst einmal geht es darum zu recherchieren, "vergessene Filme" in den Archiven – oder den Kellern der Filmregisseur*innen – zu finden und ans Licht zu holen; denn zahlreiche Werke, die in der Vergangenheit jenseits etablierter Produktions- und Verwertungswege entstanden, lagern etwa in Hochschularchiven oder privaten Sammlungen.
Im zweiten Schritt geht es dann um Präsentation und Kontextualisierung: Die beiden Projektpartner laden externe Kurator*innen dazu ein, sich, etwa im DFF-Filmarchiv oder anderen Beständen auf die Suche nach interessanten Filmen aus diesem Schaffensspektrum zu machen, um sie dann in neue Kontexte zu stellen und in Filmgesprächen zu diskutieren. So war im April zum Auftakt in Berlin ein Kurzfilmprogramm mit wenig bekannten Filmen zu Arbeitsmigration und Asyl in der BRD zu sehen, das von den Filmwissenschaftler*innen Ömer Alkin und Aurora Rodonò kontextualisiert wurde. In Frankfurt hat das Projekt mit "Il valore della donna è il suo silenzio", einem deutsch-schweizerischen Film über italienische Arbeiterinnen in Frankfurt, begonnen – zusammen mit zwei anderen Filmen, die auf das Leben von Migrant*innen in Frankfurt blickten.
Nachdem die Kuratorin Afsun Moshiry im Juni "Iran, the Land of Religions" von Manouchehr Tayyab aus dem Archiv des DFF zum Ausgangspunkt für einen weiteren Programmpunkt in Berlin genommen hat, geht es im Juli in Frankfurt weiter mit einem Fokus auf Filme zum politischen Exil aus der Türkei nach Deutschland, kuratiert von Can Sungu.
Im September feiern neu beauftragte filmische Arbeiten der Künstlerinnen Cana Bilir-Meier und Nnenna Onuoha im Rahmen der Berlin Art Week ihre Premiere bei SİNEMA TRANSTOPIA. In ihren Werken setzen sie sich mit sprachlichen Zuschreibungen und Machtverhältnissen in archivarischem Bildmaterial auseinander und erkunden künstlerische Strategien, um diese zu durchbrechen und Narrative neu zu gestalten. Ausgangspunkt ihrer Recherchen waren mehrere 16mm-Filme aus der Sammlung von SİNEMA TRANSTOPIA, die zwischen 1960 und 1990 von der FWU (Das Medieninstitut der Länder) und anderen Institutionen für Zwecke der politischen Bildung produziert wurden. Die neuen Arbeiten basieren auf den Erkenntnissen dieser Sichtungen und setzen sich kritisch mit den Filmen auseinander, die über Jahrzehnte hinweg als "Bildungsmaterial" in Schulen und Versammlungen zum Einsatz kamen.
In Frankfurt wiederum werden während der Buchmesse im Oktober (Gastland: Philippinen) Kurator*innen aus Südostasien eingeladen, sich mit dem Archiv des DFF auseinanderzusetzen. Mit dem philippinischen Regisseur Kidlat Tahimik ist zudem eine der zentralen Figuren des postkolonialen und transnationalen Films zu Gast im Kino des DFF: Der Regisseur wirkte 1974 in Werner Herzogs "Jeder für sich und Gott gegen alle" als Darsteller mit, sein Film "Who Invented the Yo-Yo? Who Invented the Moonbuggy?" ist eine deutsch-philippinische Koproduktion, die im fiktiven bayerischen Dorf "Yodelberg" spielt.
Übergeordnetes Ziel des Projekts ist der Aufbau eines gleichberechtigten Netzwerks von Initiativen, Filmemacher*innen und Institutionen, die gemeinsam eine andere – transnationale - Archivarbeit umsetzen, die das Filmemachen über Nationalgrenzen hinweg und das Wirken von eingewanderten Filmschaffenden in Deutschland in den Blick rückt. Ermöglicht werden soll auch ein anderes Sammeln mit neuen Schwerpunkten. Die Ergebnisse des Projekts sollen 2026 in eine Publikation der beiden Projektpartner münden.
Kurzfilmprogramm
Kapitel II: Bruchlinien des Exils
Spätestens seit Ende der 1960er Jahre kamen zahlreiche Menschen aus politischen Gründen aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland – einige auch in die DDR. Darunter waren Studierende, Künstler*innen und politisch Verfolgte. Dieser Teil der türkisch-deutschen Migrationsgeschichte ist bis heute wenig bekannt und kaum dokumentiert.
Das zweite Kapitel der Reihe "The Past is Not Another Country" widmet sich dem politischen Exil aus der Türkei und versammelt drei historische filmische Positionen, die dazu beitragen, Leerstellen im Archiv zu füllen: "Alamanya" ist ein Fotofilm, der Fotografien türkischer Arbeitsmigrant*innen mit einem Lied des im Exil lebenden Musikers Cem Karaca verbindet. "Ich will keine Lieder mehr hören, singen will ich" porträtiert türkische Künstlerinnen wie den Komponisten Tahsin Incirci und den Maler Hanefi Yeter, die in Berlin leben und arbeiten. "Ulkomaalainen / Yabanci" erzählt die Geschichte eines türkischen Arbeitsmigranten in Helsinki und hebt sich von klassischen Einwanderungsnarrativen ab: Die Vergangenheit des Protagonisten ist nicht die idealisierte "alte Heimat", sondern ein politisch geprägter Hintergrund, der in der Ferne weiterwirkt.
Das Kurzfilmprogramm: Bruchlinien des Exils
Dienstag, 15. Juli, 18 Uhr
"Alamanya" (BRD 1982. Wolfgang Pfeiffer, 6 Min. 16mm)
"Ich will keine Lieder mehr hören, singen will ich" (BRD 1979. Mehrangis Montazami-Dabui & Resa Dabui. 33 Min. DCP)
"Ulkomaalainen / Yabanci" (SE/FI 1983. Muammer Özer. 38 Min. DCP. OmeU)
Einführung: Can Sungu (SINEMA TRANSTOPIA)
Quelle: www.dff.film