Das Wunder von Bern

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Das Wunder von Bern

 

Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 21, 07.10.2003

Das "Wunder von Bern" bestand nicht nur darin, dass eine als zweitklassig eingestufte deutsche Nationalmannschaft Fußball-Weltmeister wurde. Neun Jahre nach Kriegsende konnte eine am Boden liegende Nation der Welt auch zum ersten Mal beweisen, dass sie wieder etwas leisten konnte, und zwar etwas vollkommen Friedliches. Beide Aspekte, den sportlichen und den politischen, versucht Sönke Wortmann, einst selbst Profifußballer, in seinem hoch budgetierten Traumprojekt zu vereinen, indem er sie auf verschiedene Handlungsstränge verteilt. Da ist der kleine Matthias, ein großer Fußballfan, der es zum Taschenträger und Maskottchen des Essener Stürmerstars Helmut Rahn bringt: aufgewachsen in einer vaterlosen Familie, die die Mutter, die Schwester, der Bruder und auch er selbst durch den Verkauf von Zigaretten aus Tabakresten, tapfer durchbringen, während der Vater in sowjetischer Kriegsgefangenschaft ist – als er heimkehrt, wirkt er wie ein zerstörerischer Fremdkörper, den seinerseits eine zerstörte Seele prägt. Und da ist Helmut Rahn, der verzweifelt versucht, sich im Laufe des Turniers in der Schweiz einen Stammplatz in Sepp Herbergers Elf zu erkämpfen, der sich aber mit seinem Temperament alle Chancen zu verbauen droht.

Wortmann hatte sich Großes vorgenommen, das lässt sich an nahezu jeder Szene ablesen. Die Familiengeschichte sollte ein ergreifendes Drama werden, sich fortentwickelnd vom Idyll über den drohenden Zerfall bis zum neuerlichen Zusammenfinden rechtzeitig zum Endspiel. Das Auf und Nieder neuerer deutscher Geschichte sieht, ins Kleinbürgermilieu übertragen, graubraun aus, untergebracht in düsteren Dachkammern, eingespannt zwischen Hoffnung und Angst, Existenzsorgen und verzweifelter Heimeligkeit. Hier wie auch in seinen voran gegangenen Filmen gelingen Wortmann letztlich aber keine wirklich überzeugenden Charaktere, eher schemenhafte Andeutungen, Platzhalter für soziale Phänomene: die Mutter resolut, die pubertierenden Kinder renitent, der Kleine naiv an das Gute, den Fußball und Helmut Rahn glaubend. Wie ein Lichtblick wirkt das Auftauchen von Peter Lohmeyer als von der Gefangenschaft schwer gezeichneter Vater. Allein seine Präsenz sowie seine wenigen Worte und fatalen Taten bringen eine schmerzlich vermisste Tiefe in das Drama, an der sich ansatzweise ermessen lässt, was die Menschen zwischen der "Stunde Null" und dem "Wunder von Bern" durchzumachen hatten. Seine Entsprechung findet Lohmeyer in Peter Franke, der den Bundestrainer spielt: Herberger als schlauer Fuchs, als strenger Chef, als verständnisvolle Vaterfigur – eine schillernde Figur im Leben wie im Film.

Abgesehen davon hat Wortmann für die WM-Handlung Fußballer zu Schauspielern gemacht, damit die Darsteller auch auf dem Rasen glaubhaft agieren. Das funktioniert ebendort blendend, vor allem in den akribisch nachgestellten, legendären Szenen aus dem Endspiel gegen Ungarn. Aber hier zeigt sich auch die im deutschen Film verbreitete übertriebene Sucht nach Authentizität, die an die Stelle glaubhafter Psychologie tritt. Wie alle Nationalspieler kamen auch die von 1954 aus allen Ecken des Landes, was sich hier aber in einer Orgie von Dialekten manifestiert, wie sie ansonsten die flachsten Komödien des Nachkriegsdeutschland kennzeichnet. Gleiches gilt für die peinlich recherchierte Ausdrucksweise jener Jahre, die vernachlässigt, dass diese ein sich Hineinversetzen des heutigen Publikums eher behindert als befördert. So sitzen lauter alte Säufer in der Kneipe, die Matthias’ Mutter betreibt, Karikaturen von Ruhrpott-Menschen, die dumm und letztlich rückwärts gewandt daherschwätzen. Noch augenfälliger wird die Vergegenwärtigung um jeden Preis in der Ausstattung. Als dritter und mit der meisten, allerdings arg betulichen Komik bestückter Handlungsstrang dient der eines jungen Münchner Sportreporters, der nach Bern geschickt wird, nachdem er in eine wohlhabende Familie eingeheiratet hat. Die Wohnung, in der sich das Paar – zwei eher unangenehme Figuren – einnistet, sieht aus wie ein Museum für Nierentische, Tütenlampen und Blumentopfständer. Die Schweiz schließlich stellt sich den Fußballern wie in einem Film mit Vico Torriani dar: mit Postkartenansichten voller Alphornbläsern und rot-weißen Fahnen. Darüber hinaus behilft sich Wortmann oft mit Pathos, auch in der musikalischen Untermalung. Nur sehr vereinzelt gelingen ihm Momente mit Witz und Gefühl. Mäßig spannend wirkt die originalgetreue Wiedergabe der Radio-Reportage von Herbert Zimmermann: Wenn der Reporter aber von einem Spiel berichtet und zur selben Zeit ein paar Essener Jungs mit einem zerschlissenen Ball ein Spiel spielen, das sich mit den Beschreibungen aus dem Radio deckt, wird für Momente die Magie spürbar, die vom Fußball ausgehen kann: für eine Generation, für eine Region, für eine ganze Nation.

 

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