Das kalte Herz

DDR 1950 Spielfilm

Das kalte Herz


e.r./r.r., In: 77 Märchenfilme, Berlin, Henschel, 1990

(...) "Das kalte Herz" gilt als exemplarischer Kinderfilm. Trotz abgespielter Kopien, verblichener Farben, geringer Tonqualität zeigt man ihn bis auf den heutigen Tag Wochenende für Wochenende in den Kindervorstellungen. Dennoch war er nicht speziell für Kinder produziert, man dachte angesichts des Welterfolgs des sowjetischen Films "Die steinerne Blume" (1946) auch an ein Erwachsenenpublikum und machte sich mit einem für damalige Verhältnisse erstaunlichen Aufwand an die Verfilmung des Hauffschen Märchens. Es sollte der erste Farbfilm der DEFA werden, und dafür holte man sich den bewährten Kameramann Bruno Mondi, der sich ein Labor für spezielle Farbversuche einrichtete. Mit Paul Verhoeven gewann man einen Regisseur, der Kinowirkungen beherrschte. Spezialist für die Trickaufnahmen war der außergewöhnliche Ernst Kunstmann. Auch wurde nicht bei der Ausstattung der Massenszenen gespart. Handwerklich standen also die Prämissen gut, aber es ist sicher nicht unerheblich, sich zu erinnern, daß diese Filmleute nur wenige Jahre zuvor mit ganz anderen Projekten beschäftigt waren: Mondi hatte als Kameramann bei Veit Harlan Erfahrungen mit Massenszenen und Farbe eben auch in Filmen wie "Kolberg" (1945) gewonnen, Verhoeven die seinigen in mehr als einem Dutzend Unterhaltungsfilmen, deren Absicht doch mehr oder weniger die Manipulation der Gefühle bei einem Volk, das sich im faschistischen Krieg befand, war. Im "Kalten Herz" gibt es davon nur wenige spürbare Relikte, etwa in den Szenen des Festes, wo die Massenszenen synthetisch-revuehaft ablaufen und viel zu wenig vom ländlichen Milieu ins Spiel kommt. Das spricht für die Veränderung in den Köpfen der Macher.

Verhoeven wird konsequent der humanistischen Substanz des Märchens gerecht. Die für Wilhelm Hauff so charakteristische Verbindung von märchenhaften Elementen und sozialer Charakterisierung überträgt er phantasievoll ins Filmische. Sein bevorzugter Held ist das Glasmännlein, moralisches Gewissen der Märchenwelt, liebenswert, unbestechlich, doch zur Versöhnung bereit. Eine glänzende Rolle für Paul Bildt. Den Holländer-Michel (Erwin Geschonneck) läßt er ohne Beschönigung als einen grausamen Riesen spielen. Beide Schauspieler entwickeln in Maske und Gestik ebenso Überraschende wie differenzierte Figuren und bestimmen mit den wundersamen Landschaften, die sie jeweils beherrschen, die Märchenatmosphäre des Films. Die optisch opulenten Entdeckungsfahrten in die Welten des Glasmännleins und des Holländer-Michels stehen ganz undidaktisch für den Aufwand, den wir treiben und treiben müssen, um unser Gewissen zu erkunden.

So wie die Figuren ihre filmische Gestalt bekommen, so wird auch durch die dramaturgische Bearbeitung die literarische Form des Märchens in eine wirkungsvolle Kinogeschichte verändert. Die im Original erst in der zweiten Hälfte beginnende Liebesgeschichte wird gleich zu Anfang exponiert. Der Wunsch des Köhlerjungen, reich zu werden, wird so verständlicher, und man empfindet später den Verlust seiner Liebesfähigkeit tiefer. An vielen Einzelheiten kann man beobachten, wie die Autoren nicht nur die beschreibenden Elemente rafften, die Handlungsabsichten der Figuren verstärkten, sondern auch Märchenmotive phantasievoll und spannend ausbauten. Der aufregende Weg des Köhlerjungen durch den Zauberwald oder der Besuch beim Holländer-Michel, wo die zuckenden Herzen an der Wand hängen, sind in den Details durchaus selbständige Erfindungen für den Film. So kommen eine ebenso dramatisch folgerichtige Dynamik wie eine für das Genre notwendige überhöhte, filmgemäße Zeichnung des Milieus und der Figuren zustande, und eine märchengemäße gleichnishafte Wertung, die ja einen spezifischen, die Phantasie beflügelnden Genuß freisetzt, wird möglich. (…)

Rechtsstatus