Aimée & Jaguar

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Aimée & Jaguar



Martina Knoben, epd Film, Nr. 2, Februar 1999


Wir können auch anders – ernsthafter, leidenschaftlicher und handwerklich besser. Das haben deutsche Regisseure immer wieder gezeigt; 1998 war in dieser Hinsicht kein schlechtes Jahr. Und auch das neue fängt gut an, mit Hans Christian Schmids "23" und nun Max Färberböcks "Aimee & Jaguar".

Als Fernsehregisseur und -autor hat sich Färberböck längst einen Namen gemacht. Seine Filme "Schlafende Hunde", "Einer zahlt immer", "Bella Block – Die Kommissarin" und "Bella Block – Liebestod" wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet; für "Die Kommissarin" gab es 1994 einen Grimme-Preis in Gold. "Aimee & Jaguar" ist Färberböcks erster Kinofilm – und ein schöner Film ist das geworden, für den der Regisseur und seine beiden Hauptdarstellerinnen bereits Bayerische Filmpreise bekommen haben.

Eine Wohnung wird aufgelöst, Interessenten besichtigen die Immobilie. "Fotos und Stuhl gehören mir, alles andere können Sie zu Brennholz machen", sagt die alte Frau (Inge Keller), in deren Gesicht die Bitterkeit tiefe Furchen gezogen hat. Auf dem Weg ins Altersheim wirft sie einen kurzen lüsternen Blick auf ein junges Mädchen in einem kurzem Röckchen – eine interessante alte Frau muß das sein. Die Seniorinnen, die Lilly im Treppenhaus des Heimes wie auf einer Galerie empfangen, sehen aber eigentlich alle so aus, als ob sie eine Menge zu erzählen hätten. So viele Geschichten über den Zweiten Weltkrieg und das "Dritte Reich" haben wir schon gehört; Färberböcks Blick auf diese Gesichter aber suggeriert, daß da noch neue, vielleicht ganz andere Geschichten sind, die die Frauen erzählen könnten.

Lillys Geschichte erfahren wir. Ilse, eine Jugendfreundin, die Lilly im Altersheim trifft, erzählt von Aimée (Lilly) und Jaguar (Felice) – eine ganz unglaubliche wahre Geschichte, die sich anhört, als sei sie für einen Film geschrieben. Die 80jährige Lilly Wust hatte sie der Autorin Erica Fischer erzählt, die daraus 1994 ein Buch gemacht hat, aus dem nun der Film wurde.

Ilse ist eine tolle Erzählerin, gerade weil sie nicht aus dem Zentrum der Geschichte, sondern von ihrem Rand aus berichtet. Und ihre freche, frivole Art balanciert das Drama wunderbar aus. 1943 war Ilse (Johanna Wokalek) ein deutsches Hausmädchen im "Pflichtjahr" bei Lilly. Eine lebenslustige junge Frau, oberflächlich auf den ersten Blick, erstaunlich großzügig und viel klüger als erwartet auf den zweiten und dritten. Die Luftschlacht um Berlin hatte begonnen, Ilse aber ist mit Felice (Maria Schrader) im Konzert und interessiert sich vor allem für deren elegantes Parfüm. "Felice ließ nichts aus, was zum Beispiel so lange Locken hatte wie ich", erzählt Ilse über ihre Freundin. Und Maria Schrader hat eine Ausstrahlung, daß der Blick gleich angezogen wird wie von einem dunklen Stern. Im Konzertsaal, vor einem Luftangriff, kommt es zu einer ersten kurzen Begegnung zwischen ihr und Lilly (Juliane Köhler). Lilly hat ihre Brille verloren, Felice findet sie. Auch später wird Felice ihr helfen, vieles klarer zu sehen.


Die Figuren seien ihm bei Schreiben wichtiger als die Handlung, hat Färberböck einmal gesagt, und daß die Arbeit mit den Schauspielern für ihn als Regisseur das Wichtigste sei. Das sieht man auch diesem Film an, der ganz seinen Figuren und seinen Darstellerinnen vertraut, Maria Schrader und Juliane Köhler vor allem, die wunderbar sind in den Hauptrollen – faszinierend widersprüchlich.

Lilly ist Hausfrau und Mutter von vier Söhnen, Mutterkreuzträgerin, verheiratet mit dem Frontsoldaten Günther. "Waffenruhe" befiehlt sie ihren Söhnen, wenn sie still sein sollen – der Film überzeugt wiederholt mit solchen Details. Ihr hungriges Herz aber läßt Lilly immer wieder neuen Verehrern nachgeben. Es sind immer wieder die Falschen, deshalb macht sie sich wegen des Ehebruchs wenig Vorwürfe. Juliane Köhler gibt dieser biederen deutschen Hausfrau, die sich kaum Gedanken macht über den Krieg und die Politik, etwas Eckiges und Nervöses. Da ist viel zu viel Sehnsucht, die nicht weiß wohin. Erst Felice kann dieses Schwärmen erfüllen, schon ihr erster (anonymer) Liebesbrief erregt Lilly.

Eine zärtliche Räuberin ist diese Felice: intelligent und elegant, welterfahren und selbstsicher, fröhlich, lebensgierig, intensiv und voller Kraft. Maria Schrader war selten so erotisch und so schillernd wie in dieser Rolle. Felice ist eine Spielerin, wie angesogen von der Gefahr und vom Tod. In vielen Bildern (Kamera: Tony Imi) scheint sie in dunklen Hintergründen fast zu verschwinden. Kein Wunder, daß Felice sich in das Lichte, Heitere, auch kindlich Selbstvergessene von Lilly verliebt.

Eine unmögliche Liebe ist das, in jeder Hinsicht. Felice ist Jüdin, bei Ilse im Keller untergetaucht. Tagsüber arbeitet sie bei der "Nationalzeitung" und beliefert eine Untergrundorganisation mit Informationen. Ihre Liebe zu Lilly bringt sie in größte Gefahr – vermutlich auch deshalb verliebt sich Felice in sie. Eines Tages küßt sie Lilly auf den Mund. Eine Ungeheuerlichkeit für Lilly. Dabei hat auch sie sich längst verliebt in diese geheimnisvolle Schöne. Färberböck ist zurückhaltend bei den Liebesszenen. Und dem Zuschauer erscheint diese Liebe so zwangsläufig, daß die Tatsache, daß sich hier zwei Frauen lieben, die Sinnlichkeit nicht stört.


Der Rumpel-Sex der Männer, die vor allem sich selbst lieben und Lilly wie einen Frontabschnitt erobern, ist ohnehin keine Alternative. Detlev Buck spielt Günther, den Ehemann, und es gäbe gute Gründe, ihn für eine Fehlbesetzung zu halten. Seine ganz unangemessene Präsenz, die ihn in den wenigen Szenen, in denen er zu sehen ist, wie einen eitlen Störenfried aussehen läßt, aber paßt sehr gut zu diesem Frontsoldaten auf Urlaub. Der Krieg, von dem ansonsten nicht viel zu sehen ist, nur ein paar düsterdramatische Abziehbilder vom brennenden Berlin, ist in der Fremdheit dieses Mannes spürbar, der noch glaubt, für Frau und Kinder zu kämpfen, während er den Kampf um seine Familie, sein Land und sein Leben längst verloren hat.

Familien lösen sich auf, auch ein paar Moralregeln gehen über Bord. Die Menschen leben anders, weil sie wissen, daß sie jeden Moment sterben können. Daß Färberböck vorher Fernsehfilme gemacht hat, sieht man seinem Kinodebüt an – immer wieder spürt man in den Bildern die Kulissen. Das paßt aber gar nicht schlecht zu der irren Stimmung, von der Färberböck erzählen will, zu dieser merkwürdigen hitzigen Stadt, in der jüdische Mädchen sich als Pin-ups für deutsche Soldaten fotografieren lassen und eine Mutterkreuzträgerin sich in eine lesbische Jüdin verliebt.

Lichte, fröhliche Bilder sind selten, nur ganz am Anfang und schließlich beinahe am Ende gibt es herrlich ausgelassene Momente von Glück. Davor ein paar Längen, wenn Lilly Felices Freundinnen und ihr wildes Leben kennenlernt. Dann ist Felices und Lillys Liebesgeschichte ganz plötzlich vorbei.

"Das Schicksal hat mich betrogen", sagt die (alte) Lilly zu ihrer Freundin Ilse. "Erst der Führer, dann das Schicksal", entgegnet Ilse. Was ein hübsch nüchterner Kommentar ist zu dieser Liebesgeschichte und Lillys sehr "deutscher" Art, an etwas Großes, an ein "für immer" zu glauben.

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