Das Boot

BR Deutschland 1980/1981 Spielfilm

Bis in den Tod: funktionieren



Norbert Grob, Die Zeit, 25.09.1981

Eine Fahrt mit dem U-Boot, mitten im Krieg, als Geschichte vom Alltagsleben über und unter Wasser, von Routinearbeiten, Routineübungen und Routinewitzen. Die Männer in dem Boot leben nicht, sie tun ihre Pflicht, sie funktionieren. Für viele von ihnen heißt das, sozusagen als Höhepunkt an action: öfters vom einen zum anderen Ende des Bootes zu rennen. Für andere heißt das: an irgendwelchen Hebeln zu ziehen oder auch nur angespannt zu gucken. Irgendwann einmal schießen sie zwei, drei Tankschiffe ab. Den Erfolg dieses Angriffs hört man: Es gluckert und quietscht, und einer der Männer erklärt, daß dieses Glucken, dieses Quietschen den Erfolg ihres Angriffs melde. Mehrmals wird das Boot von Zerstörern gejagt. Da blicken die Männer dann alle voller Spannung nach oben. Und wenn eine Bombe detoniert, wackelt das Bild so daß man nichts mehr sieht und einem nur noch die Augen weh tun. Das Erinnert an das alte "Sensorround"-Verfahren. Da fing es, wenn es spannend wurde, immer an, überlaut zu rattern und zu knattern, so daß man nichts mehr hörte und einem nur noch die Ohren weh taten.

Die Geschichte einer Fahrt mit dem U-Boot, mitten im Krieg, Männer begeben sich auf einen Weg, der ihnen wenig verspricht. Aber sie funktionieren doch. Nicht daß sie einfach einen Job haben und den so gut wie möglich erledigen; sie funktionieren.

Von der Dialektik zwischen Kämpfen und Funktionieren am Rande des Todes handelt einer der schönsten Filme der Kinogeschichte: "Only Angels Have Wings" von Howard Hawks. Der Film handelt vom Kampf um eine Fluglinie, auch vom Kampf ums tagtägliche Fliegen. Einmal kommt dabei ein Mann ums Leben. Der war der Freund aller anderen. Doch nach seinem Tod sagt sein Boß nur: Er sei gestorben, weil er nicht gut genug gewesen sei! In den Bildern aber und zwischen den einzelnen Worten liegt eine Trauer, die das Gesagte verändert, es menschlich macht. Einer hat seinen Job nicht überlebt, und seine Kollegen trauern um ihn. Doch diese Trauer bleibt unausgesprochen. Und gerade dadurch, daß die Trauer unausge-sprochen bleibt, drückt sich der wahre Respekt vor dem toten Freund aus. Aber auch dadurch, daß die anderen dann einfach seinen Job weitermachen.

In "Only Angels Have Wings" ist das Funktionieren immer ein Kampf um das, was man auch selbst will. Zu funktionieren: das gehört zum Job, insbesondere, wenn man möglichst gut sein will.

Im "Boot" aber heißt zu funktionieren vor allem: bis in den Tod zu funktionieren. Die Männer haben keine Chance.


Doch nur in einer Sequenz, der schönsten des ganzen Films, ist die Ausweglosigkeit lebendig, also emotional formuliert – als Kampf gegen die Ausweglosigkeit, als Kampf für etwas, das alle wollen. Beim Versuch, durch die Meerenge bei Gibraltar zu kommen, wird das Boot so zerstört, daß es nicht mehr manövrierfähig ist. Es sinkt immer weiter in die Tiefe. Durch einen Zufall aber eröffnet sich die Möglichkeit, gegen die Zerstörungen anzuarbeiten. Das Boot bleibt an einem Riff hängen, in 280 Meter Tiefe. Also beginnen die wenigen Profis an Bord mit ihrem Job. Die einen reparieren die Maschine, die anderen reparieren die Batterie. Sie erledigen ihren Job mit Erfolg. Da flüstert der Kommandant des Bootes: "Gute Leute muß man haben! Nur gute Leute!"
Innerhalb dieser Sequenz gibt es aber auch die Worte des Mannes, der als Kriegsberichterstatter an Bord ist. Es wirkt tief gegen die emotionale Gestaltung der Szene, wenn der erklärt, warum er an Bord ist: Daß er einmal vor dem Unerbittlichen habe stehen wollen. Wo keine Mutter, wo kein Weib seinen Weg kreuze. Nur die Wirklichkeit.

Die Geschichte einer Fahrt mit dem U-Boot, mitten im Krieg, Inserts, aber auch Uniformen, Redeweisen und technische Standards sprechen davon, um welchen Krieg es sich handelt. Deutsche, die für den Nazi-Faschismus kämpfen, fahren los, um andere, Engländer vor allem, anzugreifen, die gegen den Nazi-Faschismus kämpfen. Seit King Vidors "The Big Parade" (1925), seit Samuel Fullers "Merrill"s Marauders" (1961) oder Michael Ciminos "The Deer Hunter" (1978) ist offenkundig, daß die besseren Kriegsfilme nur vom physischen und psychischen Leiden handeln. Sie reflektieren keine ideologischen Positionen, sie reflektieren auch nicht die Frage, wer nun in dem jeweiligen Krieg recht hat oder unrecht, wer darin der Gute ist oder der Böse. Sie zeigen nur das Leben einzelner Menschen vor, die in den Krieg verstrickt sind, ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Leiden vor allem.

Wolfgang Petersens "Das Boot" hat davon allein die Intention in sich. Die Bilder entwickeln nur die Idee vom physischen und psychischen Leid der Männer in diesem engen, in diesem stickigen und dreckigen Boot. Die Bilder haben nicht die emotionale Kraft der Gestaltung dieses Leidens. Wie die Abfolge der Bilder dafür nicht den Rhythmus hat. Fürs Kino genügt es einfach nicht, nur mit den tollsten Dampf-, Wasser- oder Rütteleffekten zu arbeiten.


Die Geschichte einer Fahrt mit dem U-Boot, mitten im Krieg. Die Bilder von der Außenwelt sind reduziert auf den Beleg, daß es diese Außenwelt überhaupt gibt. Gelegentlich sieht man den Himmel. Einmal sieht man den Mond: als Vollmond. Und ein anderes Mal sieht man einen brennenden Tanker; auch Menschen, die um Hilfe schreien – in englischer Sprache. Überaus oft sieht man das Wasser – wie"s stürmt und wie"s sich ruhig und glitzernd in einer unüberschaubaren Weite verliert. Überaus oft sieht man auch das U-Boot von außen. Doch diese Bilder taugen nicht zur Beschreibung einer Reise. Sie wirken eher wie gliedernde Einschnitte in die kleinen und großen Dramen, die sich im Innern des Boots abspielen. Diese Bilder verweisen nur immer wieder auf die Geschehnisse im Innenraum.

Die Illusion einer Illusion könnte man es nennen, wenn die Fiktion eines Eingeschlossenendramas nur aufgeht in der Fiktion einer Reisesituation, die keinerlei Anzeichen fürs Reisen mehr aufweist. Reisen und Eingeschlossensein: das sind zwei Momente, die nicht zueinander passen, zwei Momente, die sich im Zwischenbereich von Innen und Außen zerreiben. Reisen heißt, daß sich äußere in inneren Bewegungen niederschlagen, die äußeren Bewegungen jedoch immer auch sichtbar, wahrnehmbar bleiben. Und Eingeschlossensein heißt, daß als Äußeres allein der Innenraum existiert, daß die inneren Bewegungen allein durch die Enge des Innenraums geprägt werden. Auch liegt dem Reisen die Bewegung zugrunde. Wie dem Eingeschlossensein die Verhinderung der Bewegung zugrunde liegt: die Unbeweglichkeit. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Momenten hätte sich Kino entwickeln können.

Am Schluß des Films stehen Bilder der Außenwelt: Bilder von der Einfahrt des U-Boots in den heimatlichen Hafen. Noch während dieser Einfahrt beendet ein überraschender Fliegerangriff den Männerspuk. Nur der Kriegsberichterstatter, der Beobachter des Ganzen, guckt noch dumm herum. Was er wohl, wofür viele aktuelle Zeugnisse stehen, heute noch tut.
Die Geschichte einer Fahrt mit dem U-Boot, mitten im Krieg. Das Kino lebt vom Geschichtenerzählen. Nur erzählt es die Geschichten anders als das Theater, der Roman oder das Fernsehen.
Wenn einer sich einlässt auf das Kino und das Kino auch will, dann muß es ihm vor allem um das Kino gehen. Von Wolfgang Petersen, dem Regisseur der wunderschönen Kino-Etüde "Einer von uns beiden" konnte man einiges erwarten. Vor allem ein Bewusstsein dafür, daß im Kino die einzige Wirklichkeit des Kinos ist. Auch dafür, daß im Kino das einzig Wirklichkeitsferne das ist, was der Kinowirklichkeit fern ist. Die Frage nach dem Authentischen im Kino erhält keine Antwort durch die Authentizität von Schrauben und Offiziersmützen oder durch die Wahrscheinlichkeit von Bewegungs- und Verhaltensformen.

Petersen machte sich auf einen Weg, der einiges versprach. Aber er funktionierte doch. Nicht daß er einfach einen Job nahm und den so gut wie möglich erledigte; er funktionierte.

Irgendwann, im Jahr 1985 oder 1986, wird der Film sicherlich als Mehrteiler im Fernsehen ausgestrahlt werden.

© Norbert Grob

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