Jakob der Lügner

DDR Tschechoslowakei 1974 Spielfilm

Nicht nur Historie


Klara Anders, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 11, 1975


Der Monat des antiimperialistischen Films brachte eine Reihe von Filmen, die sich teilweise direkt oder indirekt mit dem Kampf gegen den Faschismus auseinandersetzen, aber Geschichte nicht nur rekonstruieren wollen, sondern sich Fragen zuwenden, die über die Historie hinaus für Menschen stehen. Zwei davon: der DEFA/Fernseh-Film "Jakob der Lügner" und "Sag mir, wie dein Name ist" aus Rumänien.

Die Tragikomödie (oder die komische Tragödie) eines "kleinen Mannes", der im Ghetto wider Willen zu einem großen wird, weil er, erst um einen zu retten, später um vielen Hoffnung und Mut zu geben, lügt, er habe ein Radio und nun Nachrichten erfindet vom Vormarsch der sowjetischen Armee.

Nach seiner Bildschirmpremiere im Dezember letzten Jahres wurde der Film in wohl allen Zeitungen ausführlich besprochen bzw. vorgestellt. (Filmspiegel, Heft 26/74 und 7/75). Die Kritik war sich einig: "Einer der besten DEFA-Filme der letzten Jahre", aber auch "einer der schlichtesten und intimsten über die Zeit des Faschismus, der ohne die Darstellung von Brutalitäten auskommt". Dennoch ist "die Unmenschlichkeit immer gegenwärtig, einfach durch die Verhaltensweisen der Menschen." ,Ein Film voll Poesie, der zum Nachdenken anregt über Lüge und Wahrheit im Leben, über Phantasie und Wirklichkeit."

Mit "glänzenden schauspielerischen Leistungen" gewürdigt wurden vor allem VIastimil Brodsky und Erwin Geschonneck. Man sprach von einem "ausgewogenen, reifen Ensemble", in dem selbst die kleinste Rolle nuanciert erarbeitet wurde.


Nun auf der Leinwand und in Farbe gewinnt der Film noch stärker an Aussagekraft, wirkt intensiver. Bisher Unbemerktes kann entdeckt werden, vieles wird unvergeßlich bleiben.

Regisseur Frank Beyer und Kameramann Günter Marczinkowsky haben für die individuelle Geschichte auch die adäquate Form gefunden. Die Optik konzentriert sich auf die Menschen, ihre Gesichter, ihre Gesten und auf Details, die zugleich die Dimensionen der Vorgänge deuten. Der poetischen Überhöhung und Verdichtung wird Raum gegeben, man macht Film im besten Sinn, wobei die Farbe stets genutzt wird als künstlerisches Ausdrucksmittel.

Jurek Beckers Buch erzählt von Menschen in einem Ghetto, in dem Bäume verboten sind. Der Film zeigt es, grün ist im Ghetto ausgespart, braune, erdige Töne herrschen vor. Selbst die einzige Blume, die Rosa findet, hat Blätter, denen es an grüner Farbe fehlt. Grün zuweilen nur in den Träumen und Erinnerungen, die im Gegensatz zur Ghettorealität in satten Farben leuchten. Grün aber wie ein Rausch, wenn der Güterzug die Juden aus ihrer Welt fährt. Und dann auch Himmel, das erste und das letzte Mal richtiger Himmel, strahlend blau mit kleinen weißen Wolken, irgendwie befreiend. Darüber Linas Frage, die bezug nimmt auf das Märchen: "Aber sind denn Wolken nicht aus Watte?"… Ein faszinierendes künstlerisches Bild, von einer so verhaltenen Symbolik über das Schicksal solcher großen und kleinen Helden in rollenden Eisenbahnwaggons, wie es wohl noch nicht gefunden wurde.

In Anbetracht dieses überaus gelungenen Films, der Maßstäbe setzt, kann man sagen, die intensive Vorbereitung auf den Film und die enge Zusammenarbeit von Roman- und Filmautor Becker und Regisseur Beyer haben sich ausgezahlt.

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