Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders

Deutschland Spanien Frankreich 2005/2006 Spielfilm

Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 19, 2006

Als Tom Tykwer in "Der Krieger und die Kaiserin" (fd 34 498) seine Protagonistin Sissi den Brief einer Freundin beantworten ließ, in dem sie von einem lebensbedrohenden Autounfall erzählte, tauchte die Kamera (mittels perfekter Digitaltricks) in die labyrinthischen Windungen einer Muschel ein, um die rasante "Reise“ der Hauptfigur durch subjektive Wahrnehmungen von Tönen bis hin zur absoluten Stille zu versinnbildlichen. Kunstvoll und spielerisch zugleich destillierte Tykwer in dieser zirzensischen Sequenz die Motive seines Films im Koordinatensystem aus Zufall und Schicksal: Spiel, Illusion, Magie. Sechs Jahre später taucht Tykwer erneut in die Sinne eines Menschen ein, genauer gesagt in einen ganz bestimmten Sinn: den Geruchssinn des jungen Parfümeurs und "seelenlosen" Frauenmörders Jean-Baptiste Grenouille, den Patrick Süskind ins Zentrum seines Erfolgsromans "Das Parfum" (1984) stellte. Vehement stürzt sich Tykwer in die aufwändige Adaption der im vorrevolutionären Frankreich angesiedelten Sitten- und Gesellschaftsfabel, kriecht dabei tatsächlich in Grenouilles Nase und entfacht auf der Suche nach dem olfaktorischen "Geheimnis" ein visuell fulminantes Spiel – diesmal um die Macht, vor allem aber um die Grenzen von Leidenschaft und Affekt in einer Zeit des sozialen Wandels. Dabei hat sich Tykwer (zumindest für diesen Film) aus der Welt des Autorenkinos, die er ohnehin nur zögerlich für sich beanspruchte, verabschiedet: "Das Parfum" ist spektakuläres Kommerzkino, kein Kunst-Film, sondern publikumswirksames Kunstgewerbe – allerdings auf bemerkenswertem Niveau, (abwechslungs-)reich an visuellen Einfällen und trotz der ausufernden Länge höchst unterhaltsam.

Dabei hätte man von der durchaus nicht selbstverständlichen Liaison Tykwers mit dem Produzenten und Co-Autor Bernd Eichinger Schlimmes erwarten können: womöglich ein aufdringliches Gemisch aus "Der Name der Rose" (fd 25 841) und "Der Untergang" (fd 36 679), angereichert mit einem leichteren Duftstoff à la "Elementarteilchen" (fd 37 481) – allesamt Eichinger-Produktionen –, was in der Summe einer allzu berechnenden Parfüm-Kreation gedient hätte. Künstlerisch mag sich Tykwer bei "Das Parfum" nicht weiter entwickelt haben – er stagniert indes auf dem Stand seiner inszenatorisch und handwerklich beachtlichen Fertigkeiten und koppelt diese Kompetenz souverän mit der Bewältigung aufwändiger bis spektakulärer Szenerien, ohne (allzu) selbstgefällig oder "protzig" zu wirken. Wobei man auch hier nur darüber spekulieren kann, welche Energie es Tykwer gekostet haben mag, allen von außen an die Produktion herangetragenen Begehrlichkeiten entgegen zu wirken und eine populäre Romanadaption mit eigenen Aromastoffen zu kreieren. Wem dabei der hohe Unterhaltungswert des Films nicht reicht und wer deshalb nach dem "geistigen Nutzen" des Ganzen fragt, müsste diese Frage eigentlich an Süskind weiterreichen, dessen recht konstruierter, in ihrer Intention stets etwas unentschiedener Fabel der Hang zur schillernden Oberfläche bereits innewohnt.

Tykwer beschreitet seinen Weg ins flüchtige Reich der Gerüche, indem er nah an der Vorlage und deren episodischer Struktur bleibt. Dabei nimmt er, anders als der Roman, den Beginn des Finales in einem Prolog vorweg, um danach mehr als zwei Drittel des Geschehens als lange Rückblende zu entwickeln. Diese hebt mit der Geburt von Jean-Baptiste Grenouille am 17. Juli 1738 auf dem Fischmarkt von Paris an, dem "allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs", woran sich der Leidensweg seiner Kindheit und Jugend vom Waisenhaus bis zur Anstellung in einer Gerberei anschließt. Es ist dies die mitreißendste Phase des gesamten Films, eine visuell überbordende Folge von optischen "Sensationen": die visionäre Beschreibung von Jean-Baptistes (Über-)Lebenswillen, seines schier maßlosen Geruchssinns, der ihn die Welt entdecken und decodieren lässt – die "schlimmen" Gerüche des Schmutzes, der Verwesung und des Todes, aber auch die anregenden, "guten" Gerüche der Natur, von reifen Äpfeln bis zu frisch gebackenem Brot, vor allem aber der Duft jenes diffusen, begehrenswerten Weiblichen, das sich für Jean-Baptiste erstmals in Gestalt einer rothaarigen Schönheit manifestiert – seinem ersten Opfer. Fortan sieht er Sinn und Zweck seines Lebens darin, diesen Duft des Weiblichen zu bewahren, um ihn nie wieder zu verlieren. Dies gelingt ihm während seiner Lehrzeit beim alternden Parfümeur Baldini, dem Jean-Baptiste zu neuem Ruhm und Reichtum verhilft, vor allem aber in der Parfüm-Stadt Grasse, wo er die Technik der Enfleurage studiert und den schönsten Frauen der Stadt ihre Gerüche raubt. Jean-Baptiste wird zum mörderischen "Sammler von Schönheit“, der sein Unwesen treibt, bis er mit dem zwölften Mord die Vervollkommnung seines Plans erreicht: die "Inbesitznahme" der schönen Laura, die selbst ihr wachsamer und besorgter Vater, der Adelige Richi, nicht zu schützen vermag.

Die Seele aller Wesen sei ihr Duft – so heißt es im Roman wie im Film, wobei Tykwer geschickt mit diesem poetisch-"dekorativen" Postulat jongliert: Mit berauschenden Bildkompositionen, der Pracht von leuchtenden Blütenblättern, weiten Lavendelfeldern, kostbaren Kostümen und schönen Frauen, deren rotes Haar selbst aus weiter Distanz verführerisch leuchtet; aber auch mit dem "gestylten" Schick von Schmutz und Unrat bedient er die attraktive Oberfläche der Erzählung, während er die Psychologie der Figuren sowie die soziokulturellen Aspekte der Epoche zwar andeutet, aber nie vertieft. Das Zeitalter der Aufklärung, in der das Denken durch die Vernunft von Vorurteilen und Ideologien befreit werden soll, klingt als Interpretationsquelle ebenso an wie jener Prozess der "Zivilisierung", der eine zunehmende Affektkontrolle erzwingt – gegen die das "sinnliche Monster" Grenouille intuitiv Sturm läuft, indem er spontanen Impulsen folgt und ein Überdenken der (Rück-)Wirkungen seines Handelns ausschließt. Dass in der heuchlerischen Gesellschaft um ihn herum Scham und Peinlichkeit im Vormarsch sind, während die Bereitschaft zur Gewalt vorgeblich sinkt, konterkariert er effektvoll mit seiner bloßen Existenz, vor allem aber mit jenem "ultimativen" Duft, der ihm am Ende die uneingeschränkte Liebe, ja gottähnliche Verehrung der "Verführten" entgegenschlagen lässt und ihn vor Foltertod und dem Hass des Mobs bewahrt – nicht aber vor der Selbsterkenntnis, dass er kurz über lang die Folgen seiner Handlungen (er-)tragen muss. "Was für eine Art von Mensch bist Du?", schreit Baldini ihn einmal an, ohne selbst die Tragweite seiner Frage zu verstehen, weil er zwar von "Kopf-, Herz- und Basisnoten" als den essenziellen Akkorden eines Parfüms zu räsonieren weiß, nicht aber die Kleingeistigkeit seiner eigenen Existenz zu hinterfragen vermag – während Grenouille von seiner Nase immer weiter in die Höhle seiner eigenen monströsen "Duftwelt" geführt wird.

Das alles sind jedoch lediglich assoziative Deutungsangebote eines Films, der sich primär dem schwelgerischen, rauschhaften (visuellen wie auditiven) Erzählen verschrieben hat. Süskinds stets leicht unterspielte, lakonische Formulierungskunst findet sich dabei noch in den Off-Texten des markanten Erzählers Otto Sander, der ein wohltuend "rationalisierendes" Gegengewicht kreiert. Alles in allem bleibt Tykwers "Das Parfum" zu jeder Zeit leicht konsumierbar – und das trotz des "anstößigen" Themas der manischen Bestie im Spannungsfeld von Kaspar Hauser, dem Elefantenmenschen Joseph Marrick und eines Mörders aus fehlgeleiteter Leidenschaft, wie man ihn etwa in Matthias Glasners "Der freie Wille" (fd 37 742) findet, dort aber weit abstoßender, herausfordernder und provokanter. Ein solcher Unterschied macht den einen Film jedoch nicht "besser" und den anderen nicht "schlechter", sondern lediglich zu grundverschiedenen Filmen – wobei Tykwer vielleicht die Geburtsstunde des bislang schmerzlich vermissten attraktiven deutschen Großkinos einleitet: als legitimen Parallelweg neben dem Autorenkino, vor allem aber neben dem Einheitsbrei der öden Fernsehkonfektionsware.

Rechtsstatus