Die Büchse der Pandora

Deutschland 1928/1929 Spielfilm

Die Büchse der Pandora


Herbert Ihering, Berliner Börsen-Courier, Nr. 71, 12.2.1929


Am Schluß dieses Films, der unter dem Wedekind-Titel "Die Büchse der Pandora" Variationen über das Thema "Lulu" bringt, steigt Jack der Aufschlitzer, düster, bleich, ein Fliegender Holländer des Sexualmords, die Treppe hinauf; Lulu bezaubert ihn so, daß er, menschlich gerührt, das Messer fallen läßt; daß er drinnen – Weihnachten, England – einen Mistelzweig über sie hält und flüstert: "Jetzt stehst du unterm Mistelzweig, jetzt mußt du dich küssen lassen." Kaum geküßt, erblickt er das Brotmesser auf dem Tisch, das Licht spielt lüstern, lockend darauf, Kampf der bösen mit den guten Trieben, wer siegt?, das Brotmesser funkelt, er greift danach, Dunkel, Ende.

Diese psychologische Verbreiterung des Auftrittes, diese banalisierende Motivierung, so unwedekindisch und so unfilmisch wie möglich, ergab sich in dem Moment, als der ganze Film falsch angelegt wurde. Das Manuskript von Ladislaus Vajda verschiebt die Vorgänge in die mondäne Sphäre, sie macht aus Wedekinds manischem Drama ein herkömmliches Gesellschaftsspiel und gibt das Thema allen Mißdeutungen preis. In einer flachen Plauderwelt müssen Lulus so ungefährlich aussehen wie Louise Brooks. Wenn die begabte Lustspieldarstellerin wenigstens typisch gewesen wäre! Aber hier zerflatterte ihr Spiel, und nicht einmal der undämonische Durchschnittstyp Lulu, den Wedekind vielleicht gemeint hat, gewann Gestalt.

Als der Film sich an die Sphäre des rein Gesellschaftlichen verlor, mußte die Hochzeit des Dr. Schön (trotz Fritz Kortners gesammelter Darstellung) so an die Grenze der Komik geraten, mußten auch die abgebrauchten Mittel des Gesellschaftsfilms (D-Zug, Schlafwagen, Paßkontrolle) wieder verwendet werden! Ein Thema, so prägnant und deutlich, wie nur möglich, schon von Wedekind für den Film vorgearbeitet, und hier ins Übliche zerdehnt und verschoben.

(...) Der Film fiel aus seiner Atmosphäre und mußte künstlich wieder (durch bedenkliche Symbole, wie der Christusfigur über dem sterbenden Dr. Schön) auf ein anderes Niveau gerissen werden. Es gibt eine Rache der Dinge selbst, eine Rache des Themas, eine Rache des Stoffes. Hier haben sie sich gerächt.

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