Preise und vorläufige Bilanz des 38. DOK.fest München

Am Samstagabend wurden feierlich die Preisträger*innen des 38. DOK.fest München gekürt. Der Hauptwettbewerbspreis VIKTOR DOK.international Main Competition ging mit "Theatre of Violence" an einen komplexen, vielschichtigen Dokumentarfilm, der zeitlose Fragen nach Schuld, Vergebung und Aussöhnung stellt.

 

Ab Montag geht das DOK.fest in die @home-Phase: Bis 21. Mai 2023 kann noch aus über hundert Dokumentarfilmen für das Heimkino per Stream ausgewählt werden, darunter viele der Preisträgerfilme.

In die Vorführungen und Veranstaltungen in den Kinos und anderen Spielstätten, die gestern zuende gingen, kamen dieses Jahr rund 35.000 Zuschauer*innen und Gäste – knapp 10.000 mehr als im vergangenen Jahr. Die finalen Zahlen inklusive der Online-Views werden in einer Woche veröffentlicht.

Die dänisch-deutsche Koproduktion "Theatre of Violence" der Regisseure Lukasz Konopa und Emil Langballe gewann den Hauptwettbewerb des 38. DOK.fest München: Er handelt von Dominic Ongwen, der mit neun Jahren entführt und zum Kindersoldaten ausgebildet wurde und später als General der ugandischen Lord’s Resistance Army Gräueltaten verübte. Nun muss er sich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verantworten. Ist er nur Täter oder selbst Opfer?

Die Jury begründete ihre Entscheidung, den beiden Filmemachern Emil Langballe und Lukasz Konopa den VIKTOR DOK.international zu verleihen, mit den folgenden Worten: "In ihrem sorgfältig konstruierten Film schaffen Emil Langballe und Lukasz Konopa mit jeder neuen Szene einen komplexeren Raum, in dem wir uns als Zuschauende immer neue Fragen stellen: nach dem Völkerrecht in einem postkolonialen Gefüge, nach den Herausforderungen, Gerechtigkeit zu üben und gleichzeitig der Gefahr, alte Wunden wieder aufzureißen, nach Schuld, Vergebung und Aussöhnung."

Gestiftet wird der VIKTOR DOK.international Main Competition vom Bayerischen Rundfunk, dotiert mit 10.000 Euro. Nominiert waren Filme, die ein breites inhaltliches und formales Spektrum aufweisen und sich durch ihre hohe künstlerische Qualität auszeichnen.
Eine Special Mention erhielt in diesem Wettbewerb außerdem die belgische Produktion "Adieu Sauvage" von Sergio Guataquira Sarmiento.

Gewinner VIKTOR DOK.deutsch Wettbewerb: "Gretas Geburt"

Ein Kind ist gestorben. Die Geburtshelferin steht vor Gericht. 59 Verhandlungstage. Dann das Urteil. - Die Jury erläuterte ihre Entscheidung, Katja Baumgarten den VIKTOR DOK.deutsch zu verleihen, folgendermaßen: "Aus einer unprätentiösen, feministisch solidarischen Haltung heraus erzählt [die Regisseurin, Katja Baumgarten] die Biografie einer progressiven Hebamme und Ärztin, deren Leben durch das Gerichtsverfahren zum Albtraum wird. Wir werden Zeug*innen eines tendenziösen und bis dahin einmaligen Urteils, das nicht nur eine ganze Existenz vernichtet, sondern langjährigen Bestrebungen Vorschub leistet, die Arbeit freier Hebammen in die Schranken zu weisen. Mit 'Gretas Geburt' gelingt der Filmemacherin ein essentieller Beitrag zu diesem hoch sensiblen Thema, der die gesellschaftliche Relevanz dokumentarischer Filmarbeit eindrucksvoll unter Beweis stellt."
Preisstifter ist Sky Deutschland, dotiert mit 7.500 Euro. Nominiert werden Filme, die sich mit Menschen und Themen im deutschsprachigen Raum auseinandersetzen.

Auch "Ruäch – Eine Reise durchs Jenische Europa" (CH) konnte die Jury überzeugen und wurde lobend erwähnt.

Gewinner VIKTOR DOK.horizonte Competition – Cinema of Urgency: "Le spectre de Boko Haram"

In der Ferne Gewehrsalven: Die Bedrohung durch die Terrormiliz Boko Haram ist allgegenwärtig in Nordkamerun. - Die Jury begründete ihre Entscheidung, Cyrielle Raingou französisch-kamerunischer Produktion den VIKTOR DOK.horizonte zu verleihen, folgendermaßen: "Wie verkraften insbesondere Kinder Erlebnisse, die so traumatisch sind, dass sie kaum zu verstehen sind? Cyrielle Raingou fängt in ihrem Erstlingswerk die verheerenden Auswirkungen des militärischen Konflikts mit der islamistischen Boko Haram in ihrem Heimatland Kamerun ein und verleiht dem Unaussprechlichen einen filmischen Ausdruck. Raingous junge Protagonist*innen geben einen Einblick in die Erfahrung, in einer Welt aufzuwachsen, die voller Gefahren ist, aber dennoch von Vertrauen, Zärtlichkeit und Gemeinschaft geprägt ist. Der Film mit dem Titel 'Le spectre de Boko Haram' schafft einen Raum der Vorstellungskraft, der noch lange nach dem Sehen nachwirkt."

Gestiftet wird der VIKTOR DOK.horizonte von der Petra-Kelly Stiftung, er ist dotiert mit 5.000 Euro. Nominiert waren Filme, die ihr Augenmerk auf Länder mit instabilen Strukturen richten.

Gewinner FFF-Förderpreis Dokumentarfilm: "She Chef"

Männerdomäne Sterneküche: Die junge Köchin Agnes strebt ungebrochen nach Selbstbestimmung. - Die Jury unterstrich in ihrer Begründung, der deutsch-österreichischen Produktion von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel den FFF Förderpreis Dokumentarfilm zu verleihen: "Im Stile des Direct Cinema, immer nah an den Protagonist*innen, mit spannender, kurzweiliger Erzählhaltung und klarer Dramaturgie, führt Ko-Regisseurin Melanie Liebheit das Publikum hinter die Kulissen der 'Haute Cuisine'. Stück für Stück werden die unterschiedlichen Arbeitskulturen sichtbar. Und auch Agnes fragt sich, wie sie in Zukunft arbeiten möchte: Welche Arbeitsatmosphäre ist ihr wichtig, welche richtig? Und wie wäre Familie und Beruf vereinbar? Agnes steht für eine Generation junger Frauen, die sich in Männerdomänen nicht mehr hinten anstellen."

Mit dem FFF Förderpreis Dokumentarfilm, gestiftet vom FilmFernsehFonds Bayern, werden beim DOK.fest München lokale Nachwuchs-Regisseur*innen honoriert. Der Preis wird reihenübergreifend vergeben und ist mit 5.000 Euro dotiert.

Gewinner megaherz Student Award: "Border Conversations" (D)

Wie kämpft man gegen das Nichts? Ein Film aus dem Niemandsland an der EU Ost-Grenze. - In der Jurybegründung zum megaherz Student Award heißt es: "In visualisierten Kurznachrichten, stillen Tableaus und einer Kamera, die in den richtigen Momenten an den richtigen Orten ist, lässt uns der Film spüren und fühlen, wie schrecklich die Umstände an der Grenze zwischen Belarus und Polen sein müssen. In sensibler Hingabe für seine Protagonistinnen lässt uns der Film nicht alleine zurück, sondern wird zum Manifest für Humanität und Gerechtigkeit."

Der Student Award präsentiert herausragende Dokumentarfilme von Studierenden deutschsprachiger Filmhochschulen und Akademien. Der megaherz Student Award ist dotiert mit 3.000 Euro, Preisstifter ist die namensgebende Produktionsfirma megaherz.

Gewinner DOK.edit Award – presented by Adobe: "Non-Aligned: Scenes From the Labudovic Reels"

Die Bewegung der Blockfreien Staaten – gesehen durch die Linse von Titos Kameramann. - In der Jurybegründung zur Verleihung des DOK.edit Award – presented by Adobe an die Koproduktion von Frankreich, Kroatien, Montenegro, Qatar und Serbien heißt es: "'Non-Aligned: Scenes From the Labudovic Reels' ist Montagekunst in seiner besten Form. Die unprätentiöse Eleganz, mit der die Editorinnen Sylvie Gadmer und Mila Turajlić die verschiedenen Ebenen des Filmes miteinander verweben, lässt die Komplexität und die Vielschichtigkeit dieses filmischen Kosmos leicht erscheinen. Ihrer Montage gelingt es, die Besuche von Stevan Labudović an den historischen Schauplätzen von damals in Verbindung mit dem Archivmaterial so lebendig werden zu lassen, als wäre man dabei gewesen. Und nicht zuletzt ist es die Stimme der Regisseurin Mila Turajlić, die mit ihren persönlichen Gedanken dem Film eine zusätzliche Tiefe verleiht und eine längere Nachwirkung hinterlässt."

Der Preis wurde in Kooperation mit Adobe entwickelt, die auch Preisstifter der mit 5.000 Euro dotierten Auszeichnung sind. Nominiert sind Filme mit herausragender Montageleistung. Der Preis wird reihenübergreifend verliehen.

Daniel Sponsel und Adele Kohout (Festivalleitung): "Das war eine tolle Festivaledition. Wir hatten viel mehr Regisseur*innen und Protagonist*innen zu Gast als im vergangenen Jahr und insgesamt fanden 211 Filmgespräche statt – so viele wie überhaupt noch nie. Diese intensiven Gespräche und Begegnungen zwischen den Filmemacher*innen und dem Publikum sind die Essenz jedes Filmfestivals. Auch die Publikumszahlen sind im Vergleich zum Vorjahr wieder deutlich gestiegen, das freut uns sehr und zeugt davon, dass der Dokumentarfilm im Kino gefragt ist. Nun sind wir gespannt, wieviele Zuschauer*innen unser vielfältiges Programm noch online auf der digitalen Leinwand sehen werden."

Auch die Online-Zuschauer*innen können noch über ihren Favoriten abstimmen, und der beliebteste Film des Festivals wird am kommenden Samstag, den 20. Mai, gekürt: bei der feierlichen Verleihung des kinokino-Publikumspreises in der HFF München.

Quelle und weitere Informationen: www.dokfest-muenchen.de