"Forum expanded" widmet sich Neubewertung traditioneller Bildformate



Die experimentelle Auseinandersetzung mit dem Medium Film in anderen künstlerischen Praktiken ist verbreiteter denn je. Zum vierten Mal erforscht und dokumentiert die Berlinale-Sektion Forum expanded diese Entwicklung und schlägt damit erneut eine Brücke zwischen den klassischen Formaten des Filmfestivals und den Raum- und Bildexperimenten des Kunst- und Galerienkontexts.



Insgesamt ein Dutzend Orte sind in diesem Jahr beteiligt: Neben dem Filmhaus und dem Hamburger Bahnhof auch ein Künstleratelier und acht Berliner Galerien, darunter die des Künstlerprogramms des DAAD sowie eine Neugründung (Antje Wachs). Erneut bespielt wird der Marshall McLuhan Salon in der Botschaft von Kanada. Die wichtigste These des Medientheoretikers McLuhan, "The medium is the message", erscheint in diesem Jahr, in dem mehr als die Hälfte der Berlinale-Leinwände mit digitalen Kinoservern ausgestattet wird, aktueller denn je: Vor dem Hintergrund der Möglichkeiten der Digitalisierung steht eine Neubewertung der Eigenschaften herkömmlicher Formate wie Film, Video, Fotografie und Fernsehen im Zentrum von Forum expanded. Die künstlerischen Praktiken reichen dabei von Zeichnungen (Stephen Andrews in der Wilde Galerie) über Architekturfilme (Heinz Emigholz, Paulette Phillips) bis hin zur Objektinstallation (Pavel Büchler in der Tanya Leighton Gallery).

Freuen darf man sich auf den Eröffnungsgast Michael Snow, den Pionier des Experimentalfilms und der interdisziplinären künstlerischen Praxis. In einer neuen Arbeit widmet er sich Puccini und der Oper. Puccini Conservato wird täglich in dem 20-minütigen Programm "Tre Puccini" mit Arbeiten von Stephen Dwoskin und Christian Lebrat gezeigt. Alle drei Videos sind auf Initiative des Lucca Film Festivals entstanden; sie zeigen die Haut der Musiker, die Tränen der Hörenden und das Material der Lautsprecher in Nahaufnahme.

Eine Entdeckung des diesjährigen Forum expanded Programms ist das umfangreiche Werk des Malers, Fotografen, Filmemachers und Uhrensammlers Ludwig Schönherr, der seit den 1960er Jahren den formalen Film erforschte und nach dem Kauf seines ersten Schwarzweiß-Fernsehers eine Serie "elektronischer Filme" herstellte. Sein bislang privat archiviertes Lebenswerk widmet sich der Besonderheit des Super8- und 16mm-Films, des Fernsehens und der Popkultur. "Stupide Strukturen, glückliche Strukturen: Filme, Installationen und eine Ausstellung von Ludwig Schönherr", kuratiert von Marc Siegel, wird im Atelier Halle A/14 sowie im Filmhaus zu sehen sein und präsentiert Schönherrs faszinierendes Werk erstmals der Öffentlichkeit.

Eine Entdeckung machte auch die Künstlerin Marie Losier: Ihre neue Arbeit greift die Idee der "Scopitones" auf, in dem man in den 1960er Jahren 16mm-Vorläufer der Videoclips sehen konnte. In Holzkonstruktionen zeigt Losier lupenkleine musikalische Darbietungen von
Genesis P’Orridge.

In der Galerie Haunch of Venison wird die Neufassung einer Arbeit des Videokünstlers Bill Viola aus dem Jahr 1981 zu sehen sein, die er erst durch die heutigen Möglichkeiten digitaler Projektion so zeigen kann, wie sie ursprünglich konzipiert und aufgenommen wurde ("Hatsu-Yume/First Dream", 1981/2008). Katharina Sieverding (Galerie Thomas Schulte) und das kanadische Künstlerduo Lisa Steele und Kim Tomczak (Marshal McLuhan Salon) widmen sich in ihren Arbeiten dem Verhältnis von Fotografie und Bewegung.

Auch das Zelluloid wird zum Gegenstand genauer Betrachtung. Drei Performances und eine Installation arbeiten mit 16mm oder 35mm-Filmformaten. Für die einen (Barbara Hammer, Wilhelm Hein) ist es eine Rückkehr zum Material und zur Körperlichkeit des Films, für die anderen (Guillaume Cailleau & Benjamin Krieg, Jennifer Reeves) war die Entscheidung inspiriert durch die Fragilität von Filmmaterial und sein zunehmendes Verschwinden aus dem künstlerischen und kommerziellen Betrieb. Jennifer Reeves’ 16mm-Doppelprojektion "When it was blue" kommt als Special Screening des Forums in einer Sondervorführung mit musikalischer Live-Begleitung im Delphi auf die Leinwand.

Als Kino-Filmvorführungen präsentiert Forum expanded in diesem Jahr außerdem zwei Weltpremieren. Die komplexe Arbeit "All Fall Down" des Kanadiers Philip Hoffman zeigt, welche dokumentarischen Möglichkeiten sich durch das Zusammenspiel verschiedener Materialästhetiken ergeben; der fulminante Filmessay "Double Take" von Johan Grimonprez führt die Geschichte des amerikanischen Fernsehens, des Kalten Krieges und der Doppelgänger von Alfred Hitchcock vor. Begleitet wird das Programm von insgesamt sieben Podiumsdiskussionen und sieben Galerie-Bustouren mit teilweise performativen Führungen.

Künstlerinnen und Künstler im Forum expanded Programm 2009:
D-L Alvarez, Stephen Andrews, Pablo Bartholomew, Pavel Büchler, Oksana Bulgakowa, Guillaume Cailleau & Benjamin Krieg, Chris Chong Chan Fui, Vaginal Davis, Stephen Dwoskin, Martin Ebner & Katya Eydel & Klaus Weber, Heinz Emigholz, Milena Gierke, Shumona Goel, Karoe Goldt, Johan Grimonprez, Dan Graham, Barbara Hammer, Birgit Hein, Wilhelm Hein & John Blue & Tim Blue, Philip Hoffman, Gustavo Jahn & Melissa Dullius & Michel Balagué, Christian Lebrat, Sharon Lockhart, Marie Losier, Scott Miller Berry, Tomonari Nishkawa, Ria Pacquée, Paulette Phillips, Jennifer Reeves & Skúli Sverrisson, Susanne Sachße, Ludwig Schönherr, Katharina Sieverding, Michael Snow, Isabell Spengler, Lisa Steele & Kim Tomczak, Bill Viola, Bear Witness & Bonnie Devine & Keesic Douglas & Darryl Nepinak, Juliane Zelwies, Stefan Zeyen.

Quelle:
www.berlinale.de