Berlinale 2021: Programmauswahl für Forum und Forum Expanded

Die Berlinale hat am heutigen Dienstag das diesjährige Programm für 'Forum' und 'Forum Expanded'  bekannt gegeben. Forum und Forum Expanded stehen für Reflexion des filmischen Mediums, gesellschaftlich-künstlerischen Diskurs und ästhetischen Eigensinn.

 

Forum

Arbeit, Liebe, Freundschaft, Kino: All das gestaltet sich heute anders als vor einem Jahr. Die Sicherheiten, auf die man sich noch im Herbst 2019 verlassen konnte, sind porös geworden. In anderen Gegenden der Welt, in denen Unsicherheit ohnehin Teil des Alltags ist, mag man im Umgang damit geübter sein. Im auf Plan- und Machbarkeit ausgerichteten Westeuropa muss man sich an eine Situation, die an einen auf Dauerschleife gestellten Agilitäts-Workshop erinnert, erst gewöhnen. Wem es unter diesen Bedingungen gelingt, einen Film zu drehen und fertigzustellen, gebührt Hochachtung.

Die 17 Filme umfassende Auswahl des 51. Berlinale Forums setzt auf Arbeiten, die den außerfilmischen Unwägbarkeiten begegnen, indem sie in ihren Plots und Konstellationen die Unberechenbarkeit umarmen. Sie gibt dem Fragilen den Vorzug vor dem Bewährten. Filmemacher*innen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, nehmen mehr Raum ein als ihre arrivierten Kolleg*innen. Viele Filme schlagen narrative Haken, fahren wie Manque La Bancas Debüt "Esquí" ("Ski") Slalom zwischen Fiktion und Dokument, tauchen ab in Archive und vernähen die Fundstücke aus der Vergangenheit mit der Gegenwart. Gleich zweimal zum Beispiel wird Jean-Luc Godards "La chinoise" der Revision unterzogen: in Ephraim Asilis "The Inheritance" und in Vincent Meessens "Juste un mouvement" ("Just a Movement"). Sabrina Zhao verwandelt in ihrem ersten Langfilm "Sichuan hao nuren" ("The Good Woman of Sichuan") ein Brecht’sches Lehrstück in einen opaken filmischen Raum. Uldus Bakhtiozina erzählt in ihrem Debüt "Doch rybaka" ("Tzarevna Scaling") auf geradlinige Art ein Märchen, doch schraubt sie zugleich schwindelerregende kulturgeschichtliche Spiralen in die luftige Höhe ihrer Fiktion. Die besten Zahnverblendungen haben ihre Figuren sowieso.

Verdiente Filmemacher*innen sind natürlich auch dabei. Mit "The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation" zum Beispiel erweitert der israelische Dokumentarist Avi Mograbi sein reiches Werk um eine bittere Bestandsaufnahme dessen, was Besatzung bedeutet. Die Berliner Regisseure Chris Wright und Stefan Kolbe loten mit Anmaßung die Möglichkeiten dokumentarischen Filmemachens auf bewährt unerschrockene Weise aus. Und die thailändische Regisseurin Anocha Suwichakornpong setzt in "Jai jumlong" auf souveräne Weise fort, was ihr bisheriges Oeuvre (u. a. "Mundane History", 2009) auszeichnete: die Mischung aus narrativer Subtilität und historisch tiefenscharfem Blick.

In einer Zeit, in der der Rückzug auf das Eigene – Land, Stadt, Viertel, Wohnung, Familie – geboten erscheint, ist die Gefahr groß, dass sich der Wahrnehmungshorizont verringert. Die Filme des 51. Berlinale Forums helfen dabei, in Gedanken und in der Imagination durchlässig für die Außenwelt zu bleiben.

Filme des 51. Forums

*Weltpremiere zeigt an, dass dieser Film noch keinem Publikum vorgeführt wurde. Da er nur einem Fachpublikum (Industrie und Presse) als Online-Vorführung zugänglich gemacht wird, behält er seinen Status als Weltpremiere, bis er öffentlich in Kinos oder auf Festivals präsentiert wird.

* Internationale Premiere zeigt an, dass dieser Film noch nicht außerhalb seines Herkunftslandes vorgeführt wurde. Da er nur einem Fachpublikum (Industrie und Presse) als Online-Vorführung zugänglich gemacht wird, behält er seinen Status als Internationale Premiere, bis er öffentlich in Kinos oder auf Festivals präsentiert wird.

"À pas aveugles" ("From Where They Stood")
Frankreich / Deutschland
von Christophe Cognet
mit Christophe Cognet
*Weltpremiere

"Anmaßung"
Deutschland
von Chris Wright, Stefan Kolbe
mit Nadia Ihjelj, Josephine Hock
*Weltpremiere

"Doch rybaka" ("Tzarevna Scaling")
Russische Föderation
von Uldus Bakhtiozina
mit Alina Korol, Viktoria Lisovskaya, Valentina Yasen
*Internationale Premiere / Debütfilm

"Esquí" ("Ski")
Argentinien / Brasilien
von Manque La Banca
mit José Alejandro Colin, Segundo Botti, Shaman Herrera
*Weltpremiere /Debütfilm

"The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation"
Frankreich / Finnland / Israel / Deutschland
von Avi Mograbi
mit Avi Mograbi
*Weltpremiere

"Garderie nocturne" ("Night Nursery")
Burkina Faso / Frankreich / Deutschland
von Moumouni Sanou
*Weltpremiere / Debütfilm

"The Inheritance"
USA
von Ephraim Asili
mit Eric Lockley, Nozipho McClean, Chris Jarrell
Debütfilm

"Jai jumlong" ("Come Here")
Thailand
von Anocha Suwichakornpong
mit Apinya Sakuljaroensuk, Waywiree Ittianunkul, Sirat Intarachote
*Weltpremiere

"Juste un mouvement" ("Just a Movement")
Belgien / Frankreich
von Vincent Meessen
mit Dialo Blondin Diop, Ousman Blondin Diop, Marie-Thérèse Diedhiou
*Weltpremiere

"Mbah Jhiwo" ("Mbah Jhiwo / Ancient Soul")
Spanien
von Alvaro Gurrea
mit Yono Aris Munandar, Sayu Kholif, Musaena’h
*Weltpremiere /Debütfilm

"No táxi do Jack" ("Jack’s Ride")
Portugal
von Susana Nobre
mit Amindo Martins Rato, Maria Carvalho, Joaquim Verissimo
*Weltpremiere

"Qué será del verano" ("What Will Summer Bring")
Argentinien
von Ignacio Ceroi
mit Ignacio Ceroi, Mariana Martinelli, Charles Louvet
*Weltpremiere

"A River Runs, Turns, Erases, Replaces"
USA
von Shengze Zhu
*Weltpremiere

"Sichuan hao nuren" ("The Good Woman of Sichuan")
Kanada
von Sabrina Zhao
mit Weihang He, Ruobing Zhao
*Weltpremiere /Debütfilm

"Ste. Anne"
Kanada
von Rhayne Vermette
mit Isabelle d’Eschambault, Jack Theis, Valerie Marion
*Weltpremiere /Debütfilm

"Taming the Garden"
Schweiz / Deutschland / Georgien
von Salomé Jashi

"La veduta luminosa" ("The Luminous View")
Italien / Spanien
von Fabrizio Ferraro
mit Alessandro Carlini, Catarina Wallenstein, Freddy Paul Grunert
*Weltpremiere

Forum Expanded

Die plötzliche Koinzidenz von Stagnation und Veränderung, die wir derzeit erleben, hat unsere Vorstellung von Zeit und Raum – und damit das Kino – verändert. Das betrifft den Blick auf die ausgewählten Arbeiten wie auch das diesjährige Festivalformat, zweigeteilt, im Internet, drinnen und draußen. Die Forum Expanded Filmauswahl besteht aus vier Kurzfilmprogrammen, einem mittellangen und zwei Langfilmen, insgesamt werden im März 18 Filme gezeigt. Zusätzlich werden im Juni acht installative Arbeiten zu sehen sein.

Ein Experiment für das vom Arsenal - Institut für Film und Videokunst ausgerichtete Forum Expanded, das sich zum 16. Mal an der Schnittstelle des Kinos zu anderen Bereichen von Kunst und Gesellschaft positioniert. Der Titel "The Days Float Through My Eyes" wurde dem Song "Changes" entliehen. Vor 50 Jahren, als David Bowie ihn veröffentlichte, ging es ihm um sein Bild als Musiker, das sich nicht im gleichen Tempo wie sein wandelbares Selbstverständnis veränderte. Seit letztem Jahr sind Künstler*innen und Filmemacher*innen weltweit so ausgebremst, dass es für viele existenzbedrohend ist. Wenn die Filmauswahl des 16. Forum Expanded pandemiebedingt auch kleiner ausfällt, so möchte es sich doch mit ihnen allen solidarisch erklären.

Die Tage ziehen vorüber und an jedem einzelnen zerrt die Realität. Die Themen der Kurzfilmprogramme kreisen um Erinnerung und Geschichte, um Rituale und Mythen, um Kolonialismus und Rassismus, und nicht zuletzt um eine Filmpraxis der Subversion und des Widerstands. Eingebettet in die Neuproduktionen ist die Restaurierung des Films "Böse zu sein ist auch ein Beweis von Gefühl" von Cynthia Beatt, in dem sie gemeinsam mit Heinz Emigholz zu sehen ist. Der Film, der 1984 im Berlinale Forum präsentiert wurde, verbindet Fragen von strukturellem Rassismus und Diskriminierung mit Architekturaufnahmen in Berlin. In "Ploy" erforscht Prapat Jiwarangsan Arbeitsmigration in Singapur, in "Black Bach Artsakh" erinnern Ayreen Anastas und Rene Gabri an Ereignisse in Bergkarabach.

Mit Ausbruch der ägyptischen Revolution begann Sharief Zohairy sieben Jahre lang durch das Nildelta zu reisen. Herausgekommen ist ein fünfeinhalbstündiger Film, "Saba' sanawat hawl delta al-neel" ("Seven Years Around the Nile Delta"), der den dortigen Alltag zeigt und das Genre des Reisefilms in Pandemiezeiten in ein neues Licht rückt. Kerstin Schroedinger erinnert mit einminütigen Clips, für die sie 16mm-Film mit Nähnadeln bearbeitet hat, an die Bedeutung von Materialität und die Unmittelbarkeit des Moments.

Kuratiert von Stefanie Schulte Strathaus (Leitung), Anselm Franke (Mitbegründer), Maha Maamoun und Ulrich Ziemons.

Filme des 16. Forum Expanded

*Weltpremiere zeigt an, dass dieser Film noch keinem Publikum vorgeführt wurde. Da er nur einem Fachpublikum (Industrie und Presse) als Online-Vorführung zugänglich gemacht wird, behält er seinen Status als Weltpremiere, bis er öffentlich in Kinos oder auf Festivals präsentiert wird.

*Internationale Premiere zeigt an, dass dieser Film noch nicht außerhalb seines Herkunftslandes vorgeführt wurde. Da er nur einem Fachpublikum (Industrie und Presse) als Online-Vorführung zugänglich gemacht wird, behält er seinen Status als Internationale Premiere, bis er öffentlich in Kinos oder auf Festivals präsentiert wird.

"Black Bach Artsakh"
Republik Arzach, 140‘
von Ayreen Anastas, Rene Gabri
*Weltpremiere

"Ploy"
Thailand / Singapur, 51’
von Prapat Jiwarangsan
*Internationale Premiere

"Saba' sanawat hawl delta al-neel" ("Seven Years Around the Nile Delta")
Ägypten, 331’
von Sharief Zohairy
*Internationale Premiere

#01 Kurzfilmprogramm:

"Songs of the Shirt"
Deutschland, 4 x 1’
von Kerstin Schroedinger
*Weltpremiere

Einer der insgesamt vier "Songs of the Shirt" wird in jeder Auswahl gezeigt.

"Lost on Arrival"
Niederlande, 8’
von PolakVanBekkum
*Internationale Premiere

"Böse zu sein ist auch ein Beweis von Gefühl" ("Fury is a Feeling Too")
Deutschland, 25’
von Cynthia Beatt

"Night for Day"
Portugal / Österreich, 47’
von Emily Wardill
*Internationale Premiere

#02 Kurzfilmprgramm:

"13 Ways of Looking at a Blackbird"
Portugal, 31’
von Ana Vaz
*Weltpremiere

"Autotrofia"
Italien, 31’
von Anton Vidokle
*Weltpremiere

"The Coast"
Indien, 17’
von Sohrab Hura
*Weltpremiere

#03 Kurzfilmprogramm:

"May June July"
USA, 8’
von Kevin Jerome Everson
*Weltpremiere

"Bicentenario"
Kolumbien / Kanada, 43’
von Pablo Alvarez Mesa
Deutsche Premiere

"레드필터가 철회됩니다." ("The red filter is withdrawn.")
Südkorea, 11’
von Minjung Kim
*Internationale Premiere

"Mudança" ("Upheaval")
Deutschland / Portugal, 27’
von Welket Bungué
*Internationale Premiere

#04 Kurzfilmprogramm:

"After Life followed by Red Impasto Jar"
Finnland, 9’
von Jonna Kina
*Weltpremiere

"Kapita"
USA, 22’
von Petna Katondolo
*Weltpremiere

"Zahlvaterschaft" ("Fatherland")
Deutschland, 22’
von Moritz Siebert
*Weltpremiere

"Ahorita Frames"
Deutschland, 22’
von Angelika Levi
*Weltpremiere

Installationen

"All of Your Stars are But Dust on my Shoes"
Libanon
von Haig Aivazian
*Internationale Premiere

"Black Beauty: For a Shamanic Cinema"
Spanien / Vereinigtes Königreich / Belgien
von Grace Ndiritu
*Weltpremiere

"Jole dobe na" ("Those Who Do Not Drown")
Indien / Japan / Schweden
von Naeem Mohaiemen
*Internationale Premiere

"Medicine and Magic"
Kanada
von Thirza Cuthand
*Weltpremiere

"Se hace camino al andar"
Brasilien
von Paula Gaitán
*Internationale Premiere

"Sous le masque blanc: le film qu’Haesaerts aurait pu réaliser" ("Under the White Mask: The Film That Haesaerts Could Have Made")
Belgien
von Matthias De Groof
*Weltpremiere

"The Song of the Shirt"
Deutschland
von Kerstin Schroedinger
*Weltpremiere

"Voices and Shells"
Deutschland
von Maya Schweizer

"The Wake"
Haiti / Frankreich / Vereinigtes Königreich
von The Living and the Dead Ensemble
*Weltpremiere

"The Zama Zama Project"
USA / Südafrika / Kanada
von Rosalind Morris
*Internationale Premiere

Quelle: www.berlinale.de