Tadellöser & Wolff

BR Deutschland 1974/1975 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
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Walter, Sohn des Rostocker Reeders und Leutnants der Reserve Karl Kempowski („Ansage mir frisch!“: der unvergleichliche, unvergessene Karl Lieffen), verlebt seine Jugend in einem konservativ-deutschnationalen Elternhaus. Dort betrachtet man Hitler und die Nazis zwar nicht ohne Kritik, ist aber nicht politisch genug, um Fragen zu stellen. Die gutgläubigen Kempowskis passen sich an und gehen insgesamt mit der Entwicklung sogar konform.

Dem großbürgerlichen Lebensstandard entsprechend, zieht die Familie Kempowski von Lübeck nach Rostock, wo sie einige Jahre eine unbeschwerte Zeit erleben. Ein Familienurlaub in Sophienbad soll das große Ereignis werden. Mitten in den Urlaubsfrieden platzt die Hiobsbotschaft: Der Danziger „Korridor“ wurde geschlossen. Und das bedeutet Krieg.

Der preußisch-korrekte Vater Kempowski meldet sich freiwillig, doch auf den Freimaurer will man verzichten. Relativ gut kommt der Jazz-Freund und „Weiber-Held“ Walter mit dem Geschwätz linientreuer Lehrer und beflissener HJ-Jungvolkführer zurecht. Im Sommer 1940 muss Vater Kempowski dann doch zum Militär, die ersten Gefallenen werden geehrt, die Hitlerjugend gewinnt Oberwasser. Die trotz der Kriegswirren unbeschadete Idylle der Familie Kempowski wird jäh durch den Angriff auf Rostock im April 1942 unterbrochen, bei dem der Hafen und die Altstadt in Flammen aufgehen. So endet der erste Teil.

„Alles im Dutt!“: Die Schreckensnacht im April 1942 hat bei der Familie Kempowski erstmals Zweifel am deutschen Endsieg aufkommen lassen. Als der Däne und zukünftige Schwiegersohn Sven Sörensen unter Spionageverdacht verhaftet wird, nimmt sich Mutter Grete Kempowski („Wie isses nun möglich. Nein, Kinder, wie isses schön!“: Edda Seippel als Stütze der Gesellschaft) ein Herz und wird bei der Gestapo vorstellig. Sie schafft es tatsächlich, Sven wieder freizubekommen.

So ist ihr Gatte, der auf Urlaub nach Hause kommt, bass erstaunt, dass er in der Wohnung überall herumliegende Pfeifen vorfindet – Zeichen des neuen Mannes im Haus, Sven Sörensen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kommen sich die beiden Männer – schließlich auch geschäftlich - näher. Trotzdem treffen nach der Verlobung von Ulla und Sörensen böse Feldpostbriefe vom Vater ein, dem die Heirat seiner Tochter mit einem Ausländer zu dieser Zeit gar nicht passt. Aber er erscheint bei der Hochzeitsfeier. Ulla verliert die deutsche Staatsbürgerschaft und verlässt mit ihrem Mann Deutschland.

Im Mai 1943 wird auch Sohn Robert eingezogen, und Walter kommt zu den Flakhelfern. Im Oktober 1944 erhält der Vater ein letztes Mal Fronturlaub, welcher allerdings von der Sorge um den inzwischen kriegsgefangenen Robert und um das tägliche Brot überschattet ist. Schon wird ganz offen von „planmäßigen Absetzbewegungen“ gesprochen. Im Februar 1945 wird Walter zur kasernierten Hitlerjugend eingezogen. Es gelingt ihm, sich durch die Fronten hindurch abzusetzen. Wie durch ein Wunder erwischt er einen Zug, der den „Trittbrettfahrer“ bis nach Rostock befördert. Dort hofft und wartet man auf die Engländer...

Eberhard Fechner hat Walter Kempowskis Debüt-Roman „Tadellöser & Wolff“ aus dem Jahr 1971 nicht am Ort des Geschehens, in Mecklenburg, verfilmen können. Dass eine ZDF-Produktion in der DDR gedreht werden könnte, war Mitte der 1970er Jahre noch völlig ausgeschlossen. Zumal der Rostocker Reederssohn und niedersächsische Volksschullehrer Walter Kempowski acht Jahre in Zuchthäusern des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates zubringen musste. So wurde der vorzügliche Kameramann G. Erhardt erst nach mühevoller Motivsuche im Harz, in Lüneburg, in einer Hamburg-Harburger Wohnstraße und im Hafen von Eckernförde fündig.

„Dieser Film behandelt meine eigene Kindheit“: Fechner, der 1976 beim Adolf Grimme Wettbewerb in Marl den Sonderpreis des NRW-Kultusministeriums erhielt, gab „Tadellöser & Wolff“ eine Rahmenhandlung, in der Ernst Jacobi nicht nur als Erzähler fungiert, sondern, im Familienalbum blätternd, gleichsam in die Rolle des Autors Walter Kempowski schlüpft. Was zugleich, Stichwort „Realiensammlung“, eine höchstmögliche Authentizität suggeriert mit Lysol-Geruch, „Rostocker Anzeiger“, Klavierpartitur und Familienalbum. Diese war ausdrücklich gewollt, lief der durchweg in Schwarz-Weiß gedrehte Zweiteiler doch am 1. und 3. Mai 1975 in der ZDF-Reihe „Unterwegs zum Frieden“ zum 30. Jahrestag des Kriegsendes.

„Was für ein Familienzirkus“: Die Besetzung für diese an situationskomischen Szenen reiche und immer wieder detailliert-anekdotische Familienchronik war mutig – und großartig zugleich. Mut bewies Eberhard Fechner besonders bei Karl Lieffen, der vor „Tadellöser & Wolff“ vor allem in so unzähligen wie unseligen Klamauk- und Klamottenrollen zu sehen war, die man heute verharmlosend unter „Comedy“ subsumieren würde. Und die einem in der häufig kalauernden Familiensprache der Kempowskis („Erlederitzt“, „völlig verbumfeit“, „Miesnitzdörfer & Jenssen“) erst allmählich aus dem Sinn kamen.

Pitt Herrmann

Credits

Drehbuch

Kamera

Darsteller

Produzent

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DE) Tadellöser & Wolff

Fassungen

Original

Länge:
192 min bei 25 b/s
Format:
16mm, 1:1,37
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Aufführung:

TV-Erstsendung (DE): 01.05.1975, ZDF [2 Teile]