Milch ins Feuer

Deutschland 2023/2024 Spielfilm

Inhalt

Justine Bauers dokumentarisch anmutender Debütfilm schraffiert im Spannungsfeld zwischen Idylle und Abgehängtsein ein authentisches Bild vom Landleben – dem häufigen Einsatz von Laiendarstellerinnen, die im Hohenloher Dialekt reden, zum Dank. Im 4:3-Format wird der Kitsch breiter Landschaftsaufnahmen vermieden und der Fokus auf die Akteurinnen gelenkt. Doch welches Erbe hält das Landleben für junge Menschen bereit? Die 17-jährige Katinka will Bäuerin werden. Den Hof erben aber bekanntlich die Männer und das Milchgeschäft rentiert sich schon länger nicht mehr. Woanders will Katinka nicht hin, denn hier hat sie Natur, Tiere und ihre Freundinnen. Wo andere keine Zukunft sehen, versucht Katinka, sich eine zu bauen, den Traditionen zum Trotz.

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Heinz17herne
Heinz17herne
Anna ist von Michi, einem ziemlich tumben, nur durch rechte Sprüche auffallenden Jungen schwanger und denkt darüber nach, ob sie das Kind behalten soll. Denn eigentlich will sie weg aus der Gegend. Katinka kann als junge Frau ohne entsprechende Berufsausbildung vielleicht keine Bäuerin werden, steht aber ihren Mann im Melkstand – und das im grünen Bikini. Immerhin sind Oma Emmas auf der Veranda gezogenen Tomaten in diesem Jahr so gut geworden wie nie zuvor. Ein Sommer auf sterbenden Bauernhöfen…

Frauen spielen in der patriarchalisch geprägten Landwirtschaft noch immer eine untergeordnete Rolle – und zwar im wahren Wortsinn, denn bis heute ist es in vielen bäuerlichen Familien Tradition, dass nicht die Tochter, sondern ein Sohn den Hof erben wird. Mit dieser Tradition sieht sich auch die 17-jährige Katinka konfrontiert, die eigentlich gerne den elterlichen Hof eines Tages führen würde und schon jetzt an der Seite ihrer Mutter Marlies tatkräftig mit anpackt.

Obwohl sich durch den Preisverfall auf dem (Super-) Markt das Milchgeschäft schon länger nicht mehr rentiert, will Katinka nicht woanders leben. Denn hier hat sie ganz viel Natur und mehr als nur einen Stall voller Tiere, angefangen mit ihrem gemütlichen Hund Flipper über den mächtigen (Reit-) Stier Anton bis hin zu Lamas. Vor allem aber hat sie hier ihre Schwestern Emma und Emilie sowie ihre beste Freundin Anna, mit denen sie jede freie Minute im Fluss verbringt. Wo andere keine Zukunft sehen, versucht Katinka, sich eine zu bauen, den Traditionen zum Trotz.

Dieser bäuerliche Alltag jenseits aller „Landlust“-Idylle steht im Zentrum von Justine Bauers großartigem Debütfilm, der sich auch durch ungewöhnliche Bildausschnitte des spanischen Kameramanns Pedro Carnicer auszeichnet. Der Nachbar protestiert schon seit geraumer Zeit mit dem Aufstellen von grünen Kreuzen auf seinen Feldern gegen die Diskriminierung von Kleinbauern durch Berlin und vor allem Brüssel, das nur die industrielle Landwirtschaft der Massentierhaltungs-Großbetriebe subventioniert. Als seine Frau stirbt, schließt er trotz der Verantwortung für seine noch sehr jungen Töchter Heidi und Klara mit dem Leben ab, nachdem er mit einer leidlich publikumswirksamen Aktion, die dem Film ihren Titel gab, ein letztes Mal auf die Misere der kleinen Milchbauern aufmerksam gemacht hat.

„Milch ins Feuer“ rechnet mit überheblichen Städtern in Person allzu neugieriger Fahrrad-Touristen und mit tristen Neubau-Siedlungen samt Mährobotern im Garten auf ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen ab und wartet mit für Städter drastischen, für Landbewohner alltäglich-selbstverständlichen Szenen wie der Kastration eines Lamas oder dem Umgang mit zu vielen Katzenbabys auf. Das Ende nach achtzig Minuten aber stimmt versöhnlich: die ganze Familie versammelt sich zum Fotoshooting vor dem Bauernhof. Sie soll, sozusagen als optischer Herkunftsnachweis der von der Molkerei verarbeiteten Milch, die Etiketten der Joghurtgläser zieren.

Die Regisseurin Justine Bauer kommt selbst aus einer bäuerlichen Familie. Sie wuchs auf einer Straußenfarm auf und weiß also, wovon sie erzählt, und das merkt man ihrem Film in jeder Sekunde an. Sie fängt den anstrengenden Tagesablauf ihrer Protagonisten in einer Mischung aus dokumentarisch anmutendem Realismus und sanft poetischer Überhöhung ein, wobei letztere nicht verklärend wirkt, sondern die ganz eigene Schönheit dieses rauen Lebens veranschaulicht. Außer Johanna Wokalek als Mutter sind fast alle Rollen mit Laiendarstellern, die im Hohenloher Dialekt reden, besetzt, was diesem gleichermaßen faszinierenden und berührenden Film im Spannungsfeld zwischen Idylle und Abgehängtsein eine zusätzliche Authentizität verleiht.

Gedreht wurde im alten 4:3-Format in der Region Hohenlohe, deren Mundart – das Hohenlohische – im Film überwiegend gesprochen wird. Diese oberdeutsche Variante, stark landwirtschaftlich geprägt, variiert von Dorf zu Dorf und ist unter jungen Menschen nur noch selten lebendig. Hauptdarstellerin Karolin Nothacker wurde über einen Zeitungsaufruf gefunden und brachte ihre drei Geschwister mit ans Set, die im Film ebenfalls ihre Geschwister spielen. Die Rolle der Mutter verkörpert die vielfach preisgekrönte Theater- und Film-Schauspielerin Johanna Wokalek. Sie arbeitete mit einem Dialektcoach, um sich (beinahe) nahtlos in die Riege der Laien einzureihen. Großmutter Emma wird von Lore Bauer verkörpert, der realen Großmutter der Regisseurin, die den mündlichen Reichtum dieser Sprache mitbringt – und die leider kurz nach den Dreharbeiten verstarb.

Justine Bauer im Filmperlen-Presseheft: „Es ist aber auch nicht so, dass 'Milch ins Feuer' nur ein Film über die Landwirtschaft ist. Es ist ein Film über die Nähe zur Natur und den Tieren, eine Mutter-Tochter-Oma-Schwesternbeziehung, ein Coming of age. Es geht um einen Sommer, um ungewollte Schwangerschaften bei Mensch und Tier, um Heimat, um Rassismus auf den Straßen, um die ständige Gegenwart des Patriarchats und darum, wie oft man von Mücken gestochen wird, wenn man am Fluss wohnt und ganz besonders geht es um eine junge Frau, die ihren Weg sucht.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Continuity

Drehbuch

Dialoge

Farbkorrektur

Visuelle Effekte

Szenenbild

Ton-Design

Ton-Assistenz

Musik

Darsteller

Erstverleih

Länge:
80 min
Format:
DCP, 4:3
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 01.08.2025, 271628, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 02.07.2024, München, Filmfest - Neues Deutsches Kino;
Kinostart (DE): 07.08.2025

Titel

  • Originaltitel (DE) Milch ins Feuer
  • Arbeitstitel (DE) Milch ins Feuer oder Katinkas Ballenpresse
  • Weiterer Titel (eng) Smell of Burnt Milk

Fassungen

Original

Länge:
80 min
Format:
DCP, 4:3
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 01.08.2025, 271628, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 02.07.2024, München, Filmfest - Neues Deutsches Kino;
Kinostart (DE): 07.08.2025

Auszeichnungen

FBW 2025
  • Prädikat: besonders wertvoll
Europäisches Filmfestival Göttingen 2024
  • Göttinger Gänseliesel, Bester Spielfilm
TeleVisionale 2024
  • MFG-Star, Nachwuchsregie
LUCAS - Internationales Festival für junge Filmfans 2024
  • Lobende Erwähnung (Bridging The Borders Award)
Filmfest München 2024
  • Förderpreis Neues Deutsches Kino, Produzentische Leistung
Landespreis für Dialekt Baden-Württemberg 2024
  • Förderpreis, Film
Love Mons IFF 2024
  • Prix du Jury 40eme
Ibizacinefest 2024
  • Premio #conunpack
Sehsüchte - International Student Film Festival 2021
  • Bestes (unverfilmtes) Drehbuch, Schreibsüchte