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Deutschland in der nahen Zukunft: Perfektionismus und scheinbare Idylle beruhen auf totaler Kontrolle, Manipulation und Angst. Der zähe Polizeileutnant "Kamikaze" Jansen, gespielt von Rainer Werner Fassbinder in seiner letzten Rolle, sieht nicht gerade wie eine Respektsperson aus: Die untersetzte Figur in einen Leopardenfell-Anzug gekleidet erinnert der Alkoholiker dritten Grades eher an eine Mischung aus Zuhälter und Paradiesvogel. Doch kann er, der bislang jeden seiner Fälle gelöst hat, die bundesdeutsche Denkerelite ausschalten?
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Im Hochhaus des einflussreichsten Medienkonzerns ist eine Bombendrohung eingegangen. Polizeileutnant „Kamikaze“ Jansen ordnet die sofortige Räumung aller dreißig Stockwerke an. Die Explosion bleibt jedoch aus. Der Polizeipräsident gibt Jansen nur eine Woche Zeit, den Verfasser des Drohbriefs aufzuspüren. Jansen stößt auf einen älteren Journalisten, den Kulturredakteur Weiss (Franco Nero), der jahrelang zum Mitarbeiterstab des Konzerns gehörte, der im geheimen 31. Stockwerk untergebracht ist und der eine Zeitschrift herstellt, die im Gegensatz zu allen anderen Medien des Unternehmens offen Kritik am Zustand der Gesellschaft üben darf.
Im Redaktionsteam sind die letzten kritischen Köpfe des Landes versammelt, die ihre Meinung frei äußern können. Allerdings: Die Zeitschrift ist nicht öffentlich zu kaufen. Ihr einziger Zweck ist es, den kritischen Journalisten goldene Fesseln anzulegen, sie an den Konzern zu binden, um dessen Informations- und Meinungsmonopol nicht zu gefährden. Mit der Bombendrohung wollte besagter Journalist die Öffentlichkeit auf die Machenschaften des Konzerns aufmerksam machen. Doch seine ehemaligen Kollegen wurden nicht evakuiert, das Geheimnis des 31. Stockwerks nicht gelüftet.
Der Konzernchef, dem die Schnüffelei in den eigenen vier Wänden zu bunt wird, wirft eine Nebelkerze, indem er Jansen einen Mann präsentiert, der für den angeblichen Mord an seiner Personaldirektorin verantwortlich sein soll. Doch Jansen durchschaut die Intrige und ermittelt mit seinem Adjutanten Anton weiter, zumal eine zweite Bombendrohung abgegeben wird...
Wolf Gremms effektvoller Science-Fiction-Krimi basiert auf dem schwedischen Roman „Mord im 31. Stock“ („Mord på 31:a våningen”) von Per Wahlöö. Er hat sich an Vorbildern wie Truffauts „Fahrenheit 451“ oder Orwells „Animal Farm“ orientiert und gewinnt vor allem durch seine Besetzung, noch zu nennen Nicole Heesters und der ganz junge Richy Müller. „Kamikaze 1989“ gewinnt überdies eine besondere Bedeutung: Rainer Werner Fassbinder spielt, im zumindest für das Genre ungewöhnlichen Leoparden-Look, die Rolle des knorrigen, ständig unter Alkohol stehenden Polizeileutnants Jansen als Mischung aus Zuhälter und Paradiesvogel.
Und unterstreicht einmal mehr, dass sein schauspielerisches Können keinesfalls hinter seiner genialen Filmemacher-Tätigkeit zurückstand. Es waren bereits zwei weitere Filme um den Polizeileutnant Jansen in Planung, die aufgrund von Fassbinders überraschendem Tod im Juni 1982 nicht realisiert werden konnten. So ist „Kamikaze 1989“ Fassbinders letzter Film, der ursprünglich erst im Herbst in die Kinos kommen sollte. Doch der Filmverlag der Autoren zog kurzentschlossen die Uraufführung auf den 16. Juli 1982 im Berliner Gloria-Palast vor. Der 1994 in Berlin und Düsseldorf gedrehte Film, zu dem der Berliner Maler Johannes Grützke Zeichnungen beisteuerte, ist ein Plädoyer gegen gefährliche gesellschaftliche Entwicklungstendenzen, die zu einer Diktatur führen könnten auch und gerade durch die Gigantomanie gleichgeschalteter Medien – Themen, die damals noch in die Zukunft wiesen und uns heute durch Social Media ganz aktuell interessieren.
Die Springer-Presse wütete seinerzeit gegen das „Schmuddel-Stück“, so Will Tremper in der „Welt am Sonntag“ (18. Juli 1982): „Viel Vergnügen den Unentwegten, die an Fassbinders ‚Weltgeltung‘ glauben.“ Beim Fantasporto-Festival 1984 im portugiesischen Porto gabs den Kritikerpreis (Prémio Critica – Menção Especial) für Wolf Gremm. Die Erstausstrahlung erfolgte am 26. Mai 1995 im ZDF und die 2016 digital restaurierte Fassung lief im Jahr darauf in der Retrospektive der 67. Berlinale.
Pitt Herrmann