Inhalt
Der 37-jährige Michael Grothe ist Deutschlehrer an einer Berliner Hauptschule. Keine einfache Aufgabe. Doch Grothe liebt seinen Beruf, er ist ein engagierter Lehrer – zu engagiert, denn sein Privatleben leidet darunter. Seine Ehe ist gescheitert, und die aufkeimende Beziehung zu seiner Kollegin Lisa Kranz hat kaum eine Chance gegen die Leidenschaft, mit der Grothe Lehrer ist. Seine Klasse ist ihm das Wichtigste. Besonders der schwierige Nico liegt Grothe am Herzen. Er will ihn nicht aufgeben und versucht, ihn zu fördern. Dabei lässt er sich zu intensiv auf ihn ein und überschreitet Nicos und auch seine eigenen Grenzen. Er verliert nicht nur den Kontakt zu den anderen Schülern seiner Klasse, sondern auch den zu seinem eigenen Leben.
Schließlich scheitert Grothe an Nico und glaubt, als Lehrer versagt zu haben. Doch es bleibt die Hoffnung, etwas in den Schülern bewegt und sie der Eigenverantwortung nähergebracht zu haben. Am Ende verliert Grothe einen Schüler und gewinnt eine ganze Klasse. (Produktionsnotiz)
Quelle: 57. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Einen Sack Flöhe zusammenzuhalten ist leichter als die Horde aufsässiger vierzehn- und fünfzehnjähriger dümmlicher Schüler, die selbst vor körperlicher Gewalt nicht zurückschrecken. „Zehn Jahre Krieg – vierzig Jahre Hilfsarbeiter“, das müsste eigentlich jeder dieser Westentaschen-Machos begreifen. In Grothes Klasse strengen sich aber nur die Mädchen („Ich wünsche mir einen Mann, der auf mich aufpasst“, „Ich will für meinen Mann ein Geschenk sein“) an – und zwar gerade die aus den traditionell patriarchalischen Milieus der türkischen oder arabischen Familien, die es daheim besonders schwer haben.
Grothe ist engagiert, zu engagiert, denn sein Privatleben leidet darunter. Die Ehe mit Sibylle ist gescheitert und er muss seinen kleinen Sohn Ruben (Gideon Finimento) die Gute-Nacht-Geschichte übers Telefon vorlesen. Andererseits hütet er schon ’mal das Kind, wenn seine „Ex“ auf Freiersfüßen wandelt. Grothe erscheint seiner idealistischen Kollegin Lisa Kranz ziemlich desillusioniert, da er ihr gegenüber Möglichkeiten zur individuellen Förderung von Schülern rundherum verneint. Doch gerade ihm liegt ein besonders schwieriger Fall am Herzen, Nico. Der soll, so vermutet jedenfalls Lisa, die ihren Kollegen mit Pausensnacks versorgt und noch einiges mehr für ihn tun würde, so etwas wie Grothes Nagelprobe auf die eigenen pädagogischen Fähigkeiten werden. Er fördert und unterstützt Nico auf allen möglichen Gebieten, von der Weitergabe anregender Lektüreerfahrungen wie Salingers „Fänger im Roggen“ bis hin zum Frustabbau durch sportliche Betätigung.
Letztlich muss Grothe sich selbst, seiner Kollegin Lisa und am Ende auch Nicos Mutter (kleine, feine Episodenrolle: Steffi Kühnert) sein Scheitern eingestehen. Die Klassen-Regeln hängen am Schwarzen Brett. Es sind eigentlich nur Selbstverständlichkeiten, die man sich in unserer Multikulti-Gesellschaft nicht häufig genug ins Gedächtnis zurückholen kann, doch kaum jemand hält sich an sie. Und bei notorischen Störern wie Nico hilft tatsächlich nur der schulpsychologische Dienst – wenn überhaupt. Und dennoch: Eine verpatzte Klassenfahrt, falscher Alarm bei Sohn Ruben – Michael Grothe landet nach einem Zusammenbruch in der Klinik. Seine Klasse aber will sich nicht von Lisa Kranz unterrichten lassen, bevor die Schüler mit ihm gesprochen haben. So machen sich alle auf den Weg zu „ihrem“ Lehrer...
Die jüngsten Ereignisse, Stichwort „Rütli-Schule“, haben dem Fernsehfilm „Guten Morgen, Herr Grothe“ eine große Aktualität verliehen. Aber „Grimme“-Preisträger Lars Kraume („Dunckel“) hat mehr gewollt als sich mit einem eigenen Beitrag an der aktuellen Bildungs- und Schuldebatte zu beteiligen. Er zeichnet ein sehr facettenreiches Bild von überforderten Lehrern und hoffnungslosen Schülern über den Tag hinaus, mit sehr viel Raum für Zwischentöne.
Einerseits stürzt sich Rachel, ein intelligentes, aber stotterndes und daher von den Mitschülern der „Sechsten“ von Lisa Kranz oft gehänseltes Mädchen aus dem Fenster angesichts der drohenden Überweisung auf eine Sonderschule. Andererseits tritt mit Stefan Ulrich ein Referendar an, der, obwohl in Grothes Klasse ins eiskalte Wasser geworfen, nichts von seinem Lebens- und Berufsoptimismus verliert.
Einerseits verzweifelt Michael Grothe immer wieder an der Ignoranz seiner Schüler („Che Guevara – Ach ja, der vom T-Shirt“), andererseits schreibt die 15-jährige Laura an sich selbst einen Brief, den sie erst wieder an ihrem 30. Geburtstag öffnen will und in dem sie sich so beschreibt, wie sie sich jetzt sieht. Zu diesen anrührenden Szenen dieses das TV-Genre weit überragenden Films gehört auch die ganz selbstverständliche Solidarität und Hilfsbereitschaft seiner sonst so aufsässigen Klasse, als Grothe in Sorge um seinen scheinbar verunglückten Sohn Ruben alle Krankenhäuser der Stadt abklappert.
Pitt Herrmann