Ende einer Dienstfahrt

BR Deutschland 1971 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
In seiner 1966 in Köln erschienenen Erzählung „Ende einer Dienstfahrt“ schildert Heinrich Böll den Prozess gegen zwei Handwerker in einer rheinischen Kleinstadt, nachdem sie einen Jeep der Bundeswehr auf offenem Feld in Brand gesetzt und die Tat als Kunst-Happening „verkauft“ haben. Ganz allmählich wird diese aus Sicht von Zeugen rekonstruiert, welche der westfälische Regisseur Hans Dieter Schwarze in der ihm eigenen liebevollen Detailgenauigkeit binnen knapp achtzig Minuten zeichnet, skurrile Typen ausdrücklich eingeschlossen.

Der Tischler Johann Heinrich Gruhl (Alois Maria Giani) ist zum Rebellen gegen den Staat geworden. Die Steuergesetzgebung begünstigt die Spesenritter und Großindustriellen, welche jeden Bleistift steuermindernd beim Finanzamt absetzen. Für die ehrlichen Hand-Arbeiter aber, die Kreativität, handwerkliches Können und viel Liebe bei enormem Zeitaufwand einsetzen, um etwa alte Möbel zu restaurieren oder Madonnen zu schnitzen, haben die Behörden nur offene Hände übrig – 70 v.H. des Arbeitslohns benötigen sie zum Überleben, dürfen aber nur 40 v.H. einbehalten, den Rest kassiert Vater Staat. So hat sich eine enorme Summe an Steuerschulden angehäuft, an eine Rückzahlung ist nicht zu denken – und die Taschenpfändungen erbringen zu wenig. Sodass Vater und Sohn Georg (Heinrich Huber) nicht mehr für Geld arbeiten, das ihnen sogleich weggepfändet würde, sondern nur noch für Naturalien. Die ganze Stadt einschließlich der Honoratioren ist auf ihrer Seite, verehrt die Gruhls längst als „Künstler“, denen sie ihre wertvollen Antiquitäten auch weiterhin anvertrauen. Als Georg zu Bundeswehr einberufen wird, lastet auf seinem Vater die ganze Arbeit. Dabei muss sein Sohn bei der Armee völlig sinnlose Dienste verrichten, während er daheim so dringend benötigt wird.

Auch Georg ist ein vorzüglicher Tischler, was seine Vorgesetzten bald erkannt haben. Er richtet Offzierskasinos ein, arbeitet aber auch privat bei höhergestellten Dienstherren daheim. Auf einer dieser sinnlosen „Dienstfahrten“, genannt Kilometerangleichungsfahrt, bei der Bundeswehr-Fahrzeuge Kilometer fressen, um die Inspektionsintervalle einhalten zu können, überlegen sich Vater und Sohn, wie sie sich am Staat schadlos halten können. Sie veranstalten auf freiem Feld ein Happening, bei dem der von Georg gesteuerte Jeep in Flammen aufgeht. In dem darauffolgenden Prozess bezeugt der Kunstprofessor Büren (Hanns Ernst Jäger) vor dem Amtsgerichtsrat Bergnolte (Peter Loth) den künstlerischen Charakter der Aktion – ganz im Sinne der ortsfernen Obrigkeit, die kein Interesse daran hat, den Fall (pressemäßig) aufzubauschen. Nur der neue Staatsanwalt Kugl-Egger (Günter Strack) muss noch auf diese Linie eingeschworen werden. Das Dollste aber ist, dass der durch das Happening entstandene Schaden als Kunst-Veranstaltung von der Steuer abgesetzt werden kann. Damit ist die Steuerschuld der Gruhls über Nacht getilgt…

Hans Dieter Schwarze schildert ausführlich das dörflich-kleinbürgerliche Milieu des rheinischen Städtchens mit seinen vielfachen – auch familiären – Bindungen. Vom Polizeimeister Kirffel (Hermann Günther) über den Verteidiger Dr. Hermes (Wolfgang Hofmann) bis zum Gerichtsvorsitzenden Stollfuß (Wolfgang Büttner), der als Stammkunde die Angeklagten ein halbes Leben lang kennt und von seiner Frau gedrängt wird, die „Künstler“ frei zu sprechen, sind sich alle einig, dass der Staat die Gruhls hemmungslos ausgenommen hat. Und dass sie sich jetzt nur ein einziges Mal etwas von dem, das ihnen zusteht, genommen haben. Ja, es wird Georg Gruhl beinahe als Ehre angerechnet, im Gefängnis die Tochter des Gastwirts Seifert (Angela Winkler) geschwängert zu haben: der Hochzeitstermin wird bald nach seiner Entlassung vereinbart. Auch der Chefredakteur der einzigen am Ort erscheinenden Lokalzeitung macht mit: Er schickt seinen Gerichtsreporter zu einem auswärts verhandelten Fall – zur Zufriedenheit des Vertreters des Ministeriums, der jedes Aufsehen eines politischen Prozesses verhindern möchte.

So wird das „Happening“, die politische Demonstration der Ohnmacht des kleinen Mannes einer übermächtigen Staatsbürokratie gegenüber, zur wahren, also: steuerabzugsfähigen Kunst geadelt. Für diese realsatirische Farce hat HDS zusammen mit seinem Kameramann Götz Neumann sehr persönliche Bilder gefunden, um zu zeigen, wie alle unter einer Decke stecken. So als der Vertreter des Ministeriums aus einer Telefonzelle mit seinem Dienstherrn spricht, damit dieser den übereifrigen neuen Staatsanwalt zurückpfeift. Durch das Fenster des Telefonhäuschens sichtbar wacht über allem das Kreuz auf der Kirchturmspitze – das ist zu Heinrich Bölls Zeiten im katholischen Rheinland sicherlich nicht anders gewesen als in Schwarzes Heimat, dem katholischen Münsterland.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
90 min
Bild/Ton:
Farbe
Aufführung:

Uraufführung (DE AT): 14.03.1971, ARD/ORF2

Titel

  • Originaltitel (DE) Ende einer Dienstfahrt

Fassungen

Original

Länge:
90 min
Bild/Ton:
Farbe
Aufführung:

Uraufführung (DE AT): 14.03.1971, ARD/ORF2