Inhalt
Der kleine Daniel ist schon früh vom Radsport begeistert. Ständig fährt er mit seinem Dreirad herum, und ihm ist längst klar, dass er später einmal ein berühmter Radrennfahrer werden wird – so schnell und berühmt wie der Weltmeister Täve Schur. Doch bis es soweit ist, muss er sich noch mit den Widrigkeiten des Heranwachsens herumschlagen. Zum Beispiel will seine Mutter immer, dass er Milch trinkt. Daniel findet das aber gar nicht weltmeisterlich. Um Bestätigung zu finden, macht er sich auf die Suche nach seinem Vorbild Täve. Unterwegs hat er interessante Begegnungen und besteht viele Abenteuer. Dann findet er Täve auf einem Rennen. Und Daniel staunt nicht schlecht, als der nach seinem überragenden Sieg genussvoll zu einer Flasche Milch greift.
Die Ausstattung dieser Filmseite wurde durch die DEFA-Stiftung gefördert.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Nach dieser kurzen Einleitung in Schwarzweiß wird die Leinwand plötzlich farbig und wie ein Bilderbuch gerahmt – entsprechend der Vorlage der Küchenmeisters: Kameramann Rudi Müller hat die Märchenhandlung auf Agfacolor-Material gedreht. Ingrid Reschkes erster von insgesamt nur vier Defa-Filmen, seinerzeit noch unter ihrem Mädchennamen Ingrid Meyer in die Kinos gekommen nach der Premiere am 6. Oktober 1963 im Berliner „Babylon“ (die offizielle Defa-Geschichtsschreibung hat die Uraufführung um zwei Tage vorverlegt, was sich in offiziösen Datenbanken bis heute widerspiegelt), ist leider ihr einziger Farbfilm geblieben.
Es ist das Dreirad selbst, das die Initiative ergreift und sich selbständig macht. Aus der idyllischen norddeutschen Stadt mit zahlreichen Backsteingotik-Gebäuden am Markt führt es Daniel den Richtungsangaben des freundlichen Volkspolizisten (wird im Defa-Material als „Kleinstadtpoet“ geführt: Alexander Papendiek) entsprechend hinaus in die „weite, weite Welt“ der DDR. Das Ziel lautet Leipzig, denn dort soll sich Täve gerade an der Sporthochschule aufhalten, wie der uniformierte Beamte nach einem Blick in sein schlaues Buch erkannt hat.
In Leipzig angekommen und beinahe vom Verkehrsgetümmel der Messestadt überrollt, weist ihm ein Verkehrspolizist den Weg zur Hochschule für Körperkultur. Wo Daniel auf eine ganze Reihe trainierender Sportler wie einen Boxer, einen Gewichtheber und eine Fechterin trifft, nicht aber auf Täve. Immerhin nimmt das forsche Dreirad mit Klingelzeichen Kontakt zu Täves Rennrad auf, an dem ein Brief für den Kleinen befestigt ist. Weil er noch nicht lesen kann, hilft ihm der Boxer: Schur ist beim Ernteeinsatz auf der LPG Flora und Jolanthe.
Vorbei also am Flugplatz der Handelsmetropole und an einem großen Pusteblumenfeld gelangt Daniel zu einem Stahlwerk, wo ihn drei Arbeiter nicht nur den funkensprühenden Hochofen-Abstich erleben lassen sondern seinem arg geplagten Fahrzeug auch ein neues Vorderrad spendieren. Nun kann Daniel sogar mit einem Mähdrescher mithalten, kommt aber dennoch zu spät zu Täves Kartoffelberg. Weil er unterwegs noch eine Herde Kühe gegen sich aufgebracht hat, die mitbekommen haben, dass er die vom Melker (Defa-Material: „Schweizer“) angebotene kuhwarme Milch schroff abgelehnt hat.
Die Sonne ist längst untergegangen, als Daniel auf eine Gruppe merkwürdig lethargischer Straßenbauarbeiter trifft. Der Kranführer erzählt unter Tränen, dass sie bis zum anderen Morgen eine Brücke errichten sollen für das Radrennen mit dem berühmten Täve Schur, der Bruch einer Metallscheibe aber alles zunichte gemacht habe. Daniel kann mit dem neuen Vorderrad seines fahrbaren Untersatzes aushelfen, schläft aber dann aus Erschöpfung ein – und verpasst die rasende Fahrt der Radler samt seines Idols über die gerade noch rechtzeitig fertiggestellte Brücke. Aus Dankbarkeit sorgen die aus vollen Backen pustenden Bauarbeiter so lange für Rückenwind, bis Daniel am Zielort des Rennens auf Täve trifft und mitbekommt, wie dieser als erstes eine ganze Flasche Milch leert. Und wie ein Wunder ist auch Daniels Mutter mit einem Glas Milch zur Stelle...
„Die Milch machts“ lautete ein langjähriger Werbespruch im kapitalistischen Westen des geteilten Nachkriegs-Deutschland. Er hätte offenbar auch aus der sozialistischen Republik stammen können, wie dieser nachdrücklich für das Naturprodukt werbende Kinderfilm Ingrid Reschkes belegt, ihr Diplomfilm an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Babelsberg, der heutigen „Konrad Wolf“-Filmuniversität. Sie hatte sich bereits 1961, also im Jahr vor Erscheinen des gleichnamigen Kinderbuches von Wera und Claus Küchenmeister, mit dem Projekt ihres Debüt-Spielfilms beschäftigt. Der vor allem technisch interessant ist: In der Tradition der Brechtschen Verfremdung auf dem Theater lässt Ingrid Reschke den Titelhelden Daniel auf seinem Dreirad die meiste Zeit vor einer Rückprojektion des Filmes agieren. Und den solchermaßen auf Liliputaner-Maß geschrumpften Daniel immer wieder mit den Film-Figuren interagieren. Was zu skurrilen, beinahe surrealen Effekten führt, die durch den konventionell gehaltenen Märchenton des Off-Erzählers konterkariert werden.
Die zeitgenössische Kritik war gespalten. Während Günter Sobe in der „Berliner Zeitung“ (v. 13. Oktober 1963) von einem „wohltuend einheitlich und künstlerisch überzeugend“ gestalteten „modernen Märchen“ sprach, berichtete die „Neue Zeit“ (v. 23. November 1963) über kritische Stimmen aus dem jungen Publikum bei einem Kinderfilmtest des Nationalen Zentrum für Kinderfilm der DDR: „In unterhaltsamer und vergnüglicher Verbindung zwischen Märchen und Wirklichkeit macht der Film die Kinder mit unserer sozialistischen Umwelt vertraut. Daß er trotz der Versuche, die didaktische Aussage – Daniel wird zum Milchtrinken bekehrt – aufzulockern und durch die Erlebnisse des kleinen Helden Spannung hervorzurufen, an der Oberfläche bleibt, liegt zum großen Teil am Mangel an echten Konflikten.“
Pitt Herrmann