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Hildegard Knef: Weltstar, Stilikone, Grand Dame des Chansons, letzte deutsche Diva, Feministin. Meinungsstark, umstritten, zugleich Spiegel und Gegenfigur ihrer Zeit. Als Schauspielerin, Sängerin und Autorin feierte sie internationale Erfolge, erlebte krachende Niederlagen und war mehr als fünf Jahrzehnte schöpferisch tätig. Bereits mit 20 wurde sie Teil der deutschen Öffentlichkeit und wurde nie wieder aus ihr entlassen. Ihre Lieblingsthemen, erfolgreich sein, scheitern, sich immer wieder neu erfinden und – against all odds – immer wieder aufstehen, machen sie zu einer Expertin im Überleben.
"Ich will alles. Hildegard Knef" zeigt das Bild einer hochbegabten, ehrgeizigen, lakonisch-scharfsinnigen Frau, die der Welt vorführte, wie man Ruhm und Niederlagen meistert.
Quelle: 75. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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„Aber die Emanzipation, die wir vorhin angesprochen haben, da kommt sie wieder, die hat eben nicht stattgefunden, für uns, und gerade in meinem Beruf. Es wird Zeitlosigkeit verlangt, ein gewisser Glamour, eine Zeitlosigkeit, die von Männern nie verlangt wird“: Hildegard Knef, Weltstar, Enfant Terrible und Grande Dame des Chansons in einem ihrer Interviews, in denen sie kein Blatt vor den Mund genommen hat.
Sie war Diva, Kämpferin, Spiegel und zugleich Gegensatz ihrer Zeit im Adenauerschen Nachkriegs-Deutschland: Mehr als fünf Jahrzehnte feierte sie als Schauspielerin, Sängerin und Autorin internationale Erfolge, erlebte aber auch krachende Niederlagen. Und erfand sich immer wieder neu.
„Ich habe eigentlich nie eine Mittellage gehabt. Ich habe immer entweder sehr großen Erfolg gehabt oder ganz bedeutenden Misserfolg. Aber diese Zeit, in der ich absolut Misserfolg hatte und gar nicht arbeiten konnte, war für mich sehr wichtig für das, was ich dann später getan habe“: Mit dem ersten deutschen Nachkriegsfilm, Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ aus dem Jahr 1946, wurde die 20-jährige Hildegard Knef in der Trümmerlandschaft Berlins zum ersten deutschen Nachkriegsstar.
Bereits zwei Jahre später wurde sie nach Hollywood gelockt, aber bald „auf Eis gelegt“ – drei endlose Jahre lang. Nachdem sie nach Berlin zurückgekehrt war, drehte der Regisseur Willi Forst mit ihr das Melodram „Die Sünderin“. Hildegard Knef wurde nach einer nur sechs Sekunden währenden Nacktszene von den Medien (und der zur Adenauer-Zeit noch einflussreichen Kirche) zur Skandalnudel hochstilisiert. Luzia Schmid unterlegt die entsprechenden Bilder mit Knefs Kommentar, in Deutschland sei „eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit“ eingezogen.
Also zurück in die USA, wo sie 1955 in Cole Porters Musical „Silk Stockings“ als erste und bisher auch einzige Deutsche eine Hauptrolle am Broadway bekam. Hildegard Knef blieb mit Marlene Dietrich und Marilyn Monroe befreundet, als sie nach einem Zerwürfnis mit 20th Century Fox über die Filmrechte 1957 nach Deutschland zurückkehrte.
„Von nun an ging’s bergab“: Anschließend musste sie Jahre des Misserfolgs überstehen, bevor sie sich als mehrfach vom Jazzer Edelhagen begleitete Sängerin sehr persönlicher, (selbst-) ironischer Chansons und Autorin („Der geschenkte Gaul“, 1971) regelrecht neu erfand. Eines aber war ihr trotz aller Rückschläge, allein 56 Krebs-Operationen Mitte der 1970er Jahre, wichtig: ein möglichst selbstbestimmter Teil der deutschen Öffentlichkeit zu sein. So wurde Hildegard Knef zur schillernden Expertin des Überlebens: „Ich glaube, das Leben schuldet uns nichts als das Leben. Und alles andere haben wir zu tun.“
In ihrer filmischen Biographie lässt Luzia Schmid vor allem Hildegard Knef selbst zu Wort kommen – in verblüffend offenen Interviews und heute nicht mehr vorstellbaren Talkshow-Auftritten, mit ihren sehr persönlichen Chansons, die wie ein roter Faden durch den Film führen. „Ich will alles“ lässt die Faszination, den Charme und das Charisma Hildegard Knefs, ihre Widersprüchlichkeit, Nonchalance und Unbeugsamkeit, ihren Lebenshunger, Witz und Löwenmut lebendig werden
„Alles, was man schreibt, glaube ich, ist doch verschämt oder weniger verschämt autobiografisch. Und ich bin da ziemlich hemmungslos und unverschämt autobiographisch oder sagen wir ... Ich kann nur über das schreiben, was ich empfinde. Und sei es auch nur einmal für ganz kurze Zeit“: Nina Kunzendorf gibt Hildegard Knef eine Stimme, indem sie aus ihren Büchern liest.
In dem bewegenden, weil ungeschönten Porträt einer einzigartigen Frau und Künstlerin, die ehrgeizig, hoch sensibel, lakonisch und scharfsinnig der Welt vorführte, wie man sich selbst treu bleibt, indem man sich immer wieder neu erfindet, kommen auch Hildegard Knefs Tochter Christina Palastanga und ihr dritter und letzter Ehemann Paul von Schell zu Wort.
Pitt Herrmann