Der junge Törless

BR Deutschland Frankreich 1965/1966 Spielfilm

Inhalt

Österreich-Ungarn, Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Schüler Törless geht auf ein Internat, das vorwiegend von jungen Männern aus gehobenen Familien besucht wird. Unter den Schülern herrscht eine strikte Hierarchie, die sich unter anderem in verschiedenen Formen der Demütigung niederschlägt. Als Törless und drei seiner Mitschüler erfahren, dass ihr jüdischer Mitschüler Basini wegen Spielschulden zum Dieb geworden ist, nutzen sie dieses Wissen aus, um ihn systematisch zu erniedrigen.

 

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Falk Schwarz
Volker Schlöndorffs Erstling
Aus dem Nichts tauchte 1964 in der deutschen Filmlandschaft ein Mann auf, der zwar in Frankreich bei Louis Malle Regieassistent gewesen war, aber in seinem Heimatland unbekannt war. Er wandte sich mit einer Filmidee an den deutschen Produzenten Franz Seitz, der eher konventionelle Filme gedreht hatte und drang durch. Dieser Mann - Volker Schlöndorff - wollte einen Stoff realisieren, der sich von Allem absetzte, was in den fünfziger Jahren deutsches Kino gewesen war. Neue Gesichter, kein Starbetrieb, keine routinierten Techniker. Ein stringenter, auf jeden Firlefanz verzichtender Film mit Laiendarstellern nach dem Buch von Musil. Ähnlich wie die berühmte Verfilmung von Leontine Sagan 1931 „Mädchen in Uniform“, ebenfalls ein Internatsfilm. Doch während damals der preußische Starrsinn das Thema war, wird der junge Törless Zeuge brutaler Quälerei und Herabwürdigung eines gleichaltrigen Kameraden. In beiden Filmen spielt die Erotik unter Gleichgeschlechtlichen eine wichtige Rolle. Kameramann Franz Rath bleibt von Anfang an in der Augenhöhe der Internatsschüler, die Kadrierung klebt geradezu an den Gesichtern, er vermeidet alle Filmtricks. Matthieu Carrière, dessen esoterisch-feines Gesicht den Film trägt, ist nicht beteiligt an den Quälereien der Zöglinge, er beobachtet nur, will Studien treiben und wird auch dadurch zum Mitschuldigen (die Parallele zu der bürgerlichen Schicht, die Hitler zunächst nicht ernst nahm, ist deutlich). Da finden sich keine Anleihen an den „Publikumsgeschmack“, der Film bleibt ganz bei sich, beschreibt eine homoerotisch aufgeladene Atmosphäre und ist eine kluge Studie der Gewalt unter Jugendlichen. Während die etablierten Produzenten zur gleichen Zeit mit ihrem Latein gründlich am Ende waren, wird hier angeknüpft an eine Zeit, in der in Deutschland große Filme entstanden. Schlöndorff hat mit dem jungen Törless eine bezwingende Studie zur Gewalt abgeliefert und profilierte sich zu Recht als einer der wichtigsten Protagonisten der neu zu definierenden Filmkultur in Deutschland.
Heinz17herne
Heinz17herne
Ein Internat in der Habsburger Doppelmonarchie Österreich-Ungarn Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Schüler Basini wird von seinen „Kameraden“ Beineberg und Reiting grausam gequält, nachdem er bei letzterem seine Spielschulden nicht bezahlen konnte und nachts Beinebergs Schrank gewaltsam aufgebrochen und daraus Geld entwendet hat. Um nicht bei der Schuldirektion verraten zu werden, was die Relegation nach sich ziehen würde, erklärt sich Basini bereit, als Reitings Sklave zu dienen. In einer versteckt gelegenen Dachkammer denken sich Beineberg und Reiting immer neue Erniedrigungen für den unterwürfigen Basini aus.

Während Reiting seine sadistischen Gelüste voll auslebt und Beineberg die Torturen als „wissenschaftliche Studie“ nimmt, hält sich ihr Mitschüler Törless eher beobachtend im Hintergrund, um sich nicht unmittelbar beteiligen zu müssen. Bald jedoch eskalieren die verbalen Erniedrigungen zu handfesten Folterungen und Törless, der wissen will, was in Basini vor sich geht, während die anderen ihn erniedrigen, muss sich entscheiden, ob er die zunehmend blutigen Handlungen weiterhin billigt oder zumindest nicht verhindert. Schließlich rät Törless dem Opfer, seinen Diebstahl selbst bei der Schulleitung anzuzeigen, da Reiting und Beineberg inzwischen die ganze Klasse gegen Basini aufhetzen. Dieser wird in der Turnhalle von nahezu allen grausam gequält...

Volker Schlöndorff ist mit seinem Hauptdarsteller Mathieu Carrière eine kongeniale Verfilmung von Robert Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ gelungen. Indem er Törless' Worte vor dem Lehrertribunal wörtlich nimmt und ganz normale Menschen zeigt, die plötzlich und ganz selbstverständlich grausame Dinge tun, ohne dass die (eigene) Welt zusammenbricht. Musils Roman war hier sehr prophetisch.

Mathieu Carrière spielt einen zurückgezogenen, überheblich-intellektuell wirkenden Einzelgänger, der mehr beobachtet, wenn auch aus ungesicherter Position heraus – für eine gesicherte ist Törless noch zu jung. Aber er macht sich mitschuldig und diesen Roman-Aspekt verstärkt Schlöndorff aus der retrospektiven Sicht der Geschichte des 20. Jahrhunderts, die Musil 1906 noch nicht zur Verfügung stand. Gleichzeitig bedeutet diese Interpretation eine Herauslösung des Protagonisten als Kunstfigur von der (auto-) biographischen Figur des Romans.

Bemerkenswert ist die Besetzung u.a. mit Lotte Ledl, Jean Launay, Hanna Axmann von Rezzori, Barbara Steele und Herbert Asmodi. Und die Musik stammt von keinem geringeren als Hans Werner Henze! Gedreht in München, am Tegernsee, im oberbayrischen Kloster Schäftlarn (Internat), in Graz und im Burgenland (Rust, Neusiedlersee) ist „Der junge Törless“ am 9. Mai 1966 in Cannes uraufgeführt worden, am 20. Mai 1966 ins Kino gekommen und am 20. Dezember 1969 vom ZDF erstausgestrahlt worden.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 08.11.1965 - 03.01.1966: München, Tegernsee, Burgenland (Rust, Graz, Kloster Schäftlsarn, Neusiedlersee)
Länge:
2386 m, 87 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 31.03.1966, 35491, ab 18 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): 09.05.1966, Cannes, IFF

Titel

  • Weiterer Titel (FR) Les désarrois de l'élève Toerless
  • Originaltitel (DE) Der junge Törless

Fassungen

Original

Länge:
2386 m, 87 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
s/w, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 31.03.1966, 35491, ab 18 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): 09.05.1966, Cannes, IFF

Auszeichnungen

FBW 1966
  • Prädikat: besonders wertvoll
IFF San Francisco 1966
  • Golden Gate Trophy
IFF Cannes 1966
  • F.I.P.R.E.S.C.I. Preis
IFF Nantes 1966
  • Prix Max Ophüls
Deutscher Filmpreis 1966
  • Filmband in Gold, Abendfüllende Spielfilme
  • Filmband in Gold, Bestes Drehbuch
  • Filmband in Gold, Beste Regie