Sweethearts

Pinker Junggesellinnenabschied in der Hauptstadt. Mit reichlich Alkohol aus dem Bauchladen. Franziska Kinnert, genannt Franny, verdrückt sich heimlich, entledigt sich am Adenauer-Platz ihres Tüllröckchens und steigt in den nächsten Doppeldecker-Bus. Schnitt. Melanie Rossbach, genannt Mel, macht endlich Feierabend.

Am nächsten Morgen gibt Mel ihre fünfjährige Tochter Holly bei ihrer Freundin Kim (Nilam Faroog) ab, während Franny im Großraumbüro nach kleinen spitzen Bemerkungen unter Kollegen eine Panikattacke erleidet – offenbar nicht zum ersten Mal. Sodass sie von ihrer Chefin Cornelia mit einem Kalenderspruch zur Erholung in die Zwangspause geschickt wird, der fortan auch zu Frannys Repertoire gehört: „Stärke heißt nicht, alles alleine zu schaffen. Stärke heißt, sich Hilfe zu holen.“

Kaum ‘raus aus dem Büro und auf der Straße gedankenverloren innehaltend, wird Franny förmlich umgerannt und Sekunden später als Geisel genommen: Mel hat einen Juwelier überfallen und wird mit der Beute, ein Diamantencollier im Wert von einer halben Million Euro, von einem bewaffneten Wachmann gestellt. Mit der Geisel gelingt die Flucht u.a. durch das Gebäude der Komischen Oper. Mel kapert ein Taxi, zwingt ihre Geisel hinters Steuer. Beide schaffen es nur mit Ach und Krach auf ein Feld im Brandenburgischen: Franny hyperventiliert und kann nur durch ein albernes Handy-Videospiel wieder ‘runtergebracht werden. Im Gerangel reißt sie ihrer Entführerin das Palästinensertuch vom Gesicht – und vermasselt ihr auch noch die Übergabe des Schmucks an die Jungs ihres „Ex“ Frank Gatzki.

„Wenn ich nicht rauchen darf, sage ich gar nichts“: Währenddessen verhört die toughe SEK-Leiterin Ingrid van Kaiten die Mutter der Geisel, Sandra. Die resolute Ärztin hat keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, seitdem diese mit 16 Jahren von daheim ausgezogen ist. Ingrid kommt auch in einer privaten Sache nicht weiter: Ihr „Ex“ Harry Leine hat sich vom SEK verabschiedet und fährt lieber mit Charlie samt dessen Baby auf dem Rücksitz Streife, blockt alles Liebeswerben ab. So muss Ingrid weiterhin mit ihrem verschlafenen Assistenten Timmsen und der desinteressierten Annett vorliebnehmen.

Auch Mels zweiter Versuch, die Beute zu versilbern, scheitert in Ennos Kfz-Werkstatt an Frannys Nervosität. So muss Mel in die Höhle des Löwen, in Tareks Tabledance-Club Desire, in dessen Hinterzimmer Frank Gatzki residiert: Ihr „Ex“ verlangt eine Gewinnbeteiligung von 50 Prozent und lädt sie zum Versöhnungs-Essen ins Diner ein, in dem sie sich einst kennengelernt haben. Derweil kommen sich Franny und, als weitere Geisel von Mel festgesetzt, Harry näher – mit Konsequenzen für den weiteren Verlauf der in einen blutigen Showdown mündenden Gangsterballade, in dem Sandra als Ärztin gefragt ist.

Am hier naturgemäß nicht gespoilerten Ende kriegt „Sweethearts“, nach „SMS für dich“ die zweite Regiearbeit der damals 34-jährigen (Ost-) Berlinerin Karoline Herfurth, doch noch die Kurve: „Der Film ist eine Liebeserklärung an die Freundschaft“ bekundete sie bei der Uraufführung am 4. Februar 2019 im Zoo-Palast Berlin. Und ein Plädoyer für die Familie in welcher Patchwork-Konstellation auch immer, für die Versöhnung der Generationen. Mit dem großartigen und dabei so grundverschiedenen Protagonistinnen-Duo Karoline Herfurth als so chaotische wie liebenswerte Geisel und Hannah Herzsprung als alleinerziehende Mutter, die auf eigenen Beinen ihr Leben meistern will. Nach gut 100 Minuten gibt’s eine doppelte Familienzusammenführung…

„Sweethearts“, gedreht in Brandenburgs Jahrhundert-Sommer 2018 in Berlin, der Stadt Brandenburg sowie in Trebbin und Luckau, ist bewusst dem Look der 1980er Jahre in US-Genrefilmen angenähert, Daniel Gottschalks Kamera offenbart zudem die Weite der Landschaft Brandenburgs: Die in der DDR-Platte aufgewachsene Karoline Herfurth wollte bewusst keinen Berlin-Film drehen. Die Free-TV-Premiere wurde am 2. Januar 2023 von Sat 1 ausgestrahlt.

Pitt Herrmann