Locarno: Deutsche Beiträge im Wettbewerb und auf der Piazza

Nach dem starken deutschen Auftritt im letzten Jahr mit u.a. zwei Wettbewerbs- und zwei Piazza-Grande-Beiträgen, zeigt sich das Festival del Film Locarno (2. – 12. August 2017) auch in diesem Jahr wieder sehr angetan vom deutschen Kino und insbesondere von jungen Filmemachern aus Deutschland. Insgesamt sind 28 deutsche Filme und Koproduktionen programmiert.

Im Wettbewerb Concorso Internazionale geht mit "Freiheit" von Jan Speckenbach (DE/SK, One Two Films, ZAK FILM Productions) junges deutsches Kino ins Rennen. Genauso im beeindruckenden Freilichtkino der Piazza Grande. Hier feiern "Drei Zinnen" von Jan Zabeil (DE/IT, Rohfilm) mit hochkarätiger Besetzung sowie "Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau (DE/IT/AT, Port au Prince Film & Kultur Produktion, Lucky Bird Pictures), eine Geschichte aus der Jungsteinzeit, ihre Weltpremieren.

In der unabhängigen Sektion Semaine de la Critique, organisiert vom Schweizer Verband der Filmjournalisten in Zusammenarbeit mit dem Festival, kommen in den Dokumentarfilmen "Das Kongo Tribunal" von Milo Rau (DE/CH, Fruitmarket Arts & Media) und "The Poetess" von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff (Brockhaus/Wolff, HFF München) aktuelle politische Themen zur Sprache.

Auch bei den Kurzfilmen gibt es eine Reihe von Beiträgen aus Deutschland: Willy Hans zeigt "Das satanische Dickicht - Drei" in Pardi di domani: Concorso internazionale. "Und alles fällt" von Nadine Schwitter (Kunsthochschule für Medien Köln) läuft in Pardi di domani: Concorso Nationale. Weiterhin ist One Two Films aus Deutschland neben "Freiheit" mit einer weiteren Produktion im Festival vertreten, dem Kurzfilm "A Manifesto for the UN-Communal" von Syllas Tzoumerkas (DE/IL) in Fuori Concorso. "Phantasiesätze" von Dane Komljen (DE/DK, Flaneur Films) ist in Signs of Life programmiert.

Zu den deutschen Beiträgen:

In "Freiheit" stellt Jan Speckenbach, dessen Debütfilm "Die Vermissten" bei der Berlinale lief und für den Europäischen Filmpreis 2012 nominiert war, Fragen wie: Ist es möglich, sein Leben zu löschen und jemand anderes zu werden (ohne sich selber zu verlieren)? Wieviel ist Freiheit wert? Und vor allem: Was ist Freiheit? Nora, gespielt von Johanna Wokalek ("Der Baader Meinhof Komplex", "Die kommenden Tage"), verlässt ihren Ehemann Philip und die zwei Kinder ohne ein Wort der Erklärung. Eine Kraft treibt sie an, der sie sich nicht entziehen kann. Sie will frei sein. Währenddessen versucht Philip mit Arbeit und Familienleben nach ihrem unerklärlichen Verschwinden zurechtzukommen. Philips Fessel ist die Freiheit, die Nora sucht.

Auch "Drei Zinnen" ist ein zweiter Langfilm. Regisseur Jan Zabeils Debüt "Der Fluss war einst ein Mensch" feierte Weltpremiere in Toronto und gewann eine Reihe internationaler Preise. Für "Drei Zinnen" konnte er "Face-to-Face-With-German-Films"-Gesicht Alexander Fehling ("Im Labyrinth des Schweigens", "Homeland") und Bérénice Bejo ("The Artist") für Hauptrollen gewinnen. Aaron lädt seine Freundin Lea und deren achtjährigen Sohn Tristan zu einem Trip in die Berge ein. Hoch in der Drei-Zinnen-Region in den Dolomiten sind Aaron und Tristan mit ihrer ambivalenten Liebe zueinander und ihren tiefsten Ängsten voreinander konfrontiert, während Lea dazwischen steht. In einem Versuch den Respekt des Jungen zu gewinnen, nimmt Aaron ihn mit auf den Berg und konfrontiert ihn mit seiner fortwährenden Agression gegen ihn. Als Nebel einsetzt und Aaron den Tristan verliert, erreichen ihre Machtspiele ein gefährliches Niveau.

Statt der Dolomiten stehen die Ötztaler Alpen im Mittelpunkt von "Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau: Vor 5300 Jahren in der Jungsteinzeit lebt eine Großfamilie dort friedlich. Während Anführer Kelab (Jürgen Vogel) auf der Jagd ist, wird die gesamte Sippe bei einem Überfall brutal ermordet, darunter auch seine Frau und sein Sohn. Das Heiligtum der Gemeinschaft wird geraubt. Getrieben von Schmerz und Wut hat Kelab nur noch ein Ziel – Vergeltung -  und folgt den Spuren der Täter. Durch einen tragischen Irrtum wird er auch noch selbst zum Gejagten. Wird er seinem Drang nach Rache nachgeben und selbst vom Opfer zum Täter? Oder gelingt es ihm, den ewigen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen?

Nach Buch und Regie des vielfach ausgezeichneten Theaterregisseurs Milo Rau erschafft "Das Kongo Tribunal" ein ungeschöntes Porträt einer der größten und blutigsten Wirschaftskriege in der menschlichen Geschichte.  Anhand zweier Tribunale – eins vor Ort im Ostkongo und eines in Berlin - werden die Gründe und Hintergründe für den seit bald 20 Jahren andauernden Krieg im Gebiet der Großen Seen durchleuchtet, der aufgrund der direkten oder indirekten Verwicklung aller Großmächte unserer Zeit auch als "Dritter Weltkrieg" bezeichnet wird und bereits bis zu sechs Millionen Tote forderte.

Der Dokumentarfilm "The Poetess" erzählt Hissa Hilals Geschichte. Sie ist die erste Frau im Finale des größten Gedichtwettbewerbs des arabischen Raums. In ihren Gedichten in der Multi-Millionen-Dollar-TV-Show kritisiert sie die patriarchale arabische Welt und attackiert einen der berüchtigten Saudi-Geistlichen für seine extremistischen Fatwas vor 75 Millionen ZuschauerInnen. Dabei ist Hissa von Kopf bis Fuß verschleiert, darf nicht Auto fahren, hat keinen Pass und braucht für jede Aktivität die Erlaubnis ihres Mannes. Wie brachte sie den Mut auf ihr Leben auf der Bühne zu riskieren?

Alle deutschen Filme und Koproduktionen in Locarno 2017.

Quelle: www.german-films.de