Urmel aus dem Eis

Deutschland 2004-2006 Animationsfilm

Urmel aus dem Eis


Reinhard Lüke, film-dienst, Nr. 16, 2006

Bei den Adaptionen mancher Buchvorlagen wundert man sich, dass sie nicht schon vor Jahrzehnten ins Kino kamen. "Urmel aus dem Eis“ ist so ein Fall. Der Ende der 1960er-Jahre erschienene Kinderbuch-Bestseller aus der Feder von Max Kruse erlebte zwar eine Reihe von Visualisierungen als Marionette in der Augsburger Puppenkiste, als Trickserie im Fernsehen oder zuletzt als TV-Musical – nur auf die Leinwand hatte es der drollige Dino-Nachwuchs erstaunlicherweise bislang nicht geschafft. Womöglich brauchte es erst den volldigitalen Animationsfilm. Die Geschichte ist dabei die (gute) alte geblieben: Auf der kleinen Vulkaninsel Titiwu lebt der Universalgelehrte Habakuk Tibatong mit seinem Adoptivsohn Tim Tintenklecks inmitten einer Schar drolliger Tiere vom Pinguin Ping über Wawa, den Waran, und dem Schuschnabel Schusch bis zum melancholischen Seeelefanten, der die Bewohner mit seinen herzzerreißenden Balladen (nicht immer) erfreut. Dann ist da natürlich noch die resolute Schweinedame Wutz, die dafür sorgt, dass der Haushalt des Professors nicht zum Saustall verkommt. Doch eines Tages wird ein kleiner Eisberg an den Strand des Eilands gespült, und fortan ist es mit dem beschaulichen Leben vorbei. Denn das frostige Treibgut umschließt ein rätselhaftes Ei, das auf Anweisung Tibatongs von den Tieren in aufopferungsvoller Gruppenarbeit ausgebrütet wird. Und bald springt ein kleiner Dino einer längst ausgestorbenen Spezies aus der Schale, der den Namen Urmel erhält, sich Wutz als Wahlmutter ausguckt und bald als ebenso gewitzter wie respektloser Mitbewohner auf Titiwu einfach dazugehört. Doch leider kann es der durchaus eitle Tibatong nicht lassen, die Welt per Flaschenpost von seinem sensationellen Fund zu unterrichten. Was prompt den gelangweilten (Ex-)König Pumponell auf die Insel führt, der an Urmel lediglich als Jagdtrophäe interessiert ist.

Wer mit "Urmel“ in der geliebten Version der Augsburger Puppenkiste groß geworden ist, hegt natürlich ein gerüttelt Maß an Skepsis gegenüber einer Adaption mit den Mitteln der digitalen Animation. Schließlich scheint der "kalte“ Computer so gar nicht zum anrührenden Marionettenspiel zu passen. Doch derartige Romantizismen erweisen sich in diesem Fall als unbegründet. Was vor allem damit zu tun hat, dass die Macher den Klassiker nicht zur Vorlage für eine Demonstration des technisch Machbaren degradieren. So bleibt die Seele dieser Geschichte mit ihrer austarierten Mischung aus lustigen, anrührenden und (zumindest für jüngere Zuschauer) spannenden Momenten nahezu unangetastet. Dasselbe gilt für die Zeichnung der Charaktere, die von Pings Sprachfehler bis zu Wutz’ ebenso erbittertem wie erfolglosem Kampf gegen ihre Muttergefühle die bewährten Macken und Eigenheiten behalten haben. Wobei die in dreijähriger Arbeit entstandenen Animationen so differenziert ausgefallen sind, dass die Figuren selbst in minimalistischer Körpersprache große Emotionen auszudrücken vermögen. Ob man den Look des Ganzen, durch den Titiwu in Totalen ein wenig an PlayMobil-Land erinnert, mag oder nicht, ist dabei letztlich Geschmackssache. Natürlich haben sich die Macher um Autor und Co-Regisseur hie und da ein paar Tribute an die Moderne gegönnt. Da erweist sich Urmel als talentierter Fußballer oder legt auf der Flucht vor seinen Verfolgern eine rasante Surf-Einlage aufs Wasser. Und jenseits der Originalmusik von James Michael Dooley tanzt zum großen Finale die ganze Bande nach dem Disco-Hit "We Are Familiy“. Doch derartige Einlagen sind spärlich gestreut und fügen sich nahtlos ins Geschehen. Von sprachlichen Ranschmeiß-Versuchen an die Jugend mit Floskeln wie "cool“, "mega“ oder "geil“ bleibt man gänzlich verschont. Rätselhaft bleibt bei diesem klassischen Familienfilm, der sich hinter aktuellen US-Produktionen nicht zu verstecken braucht, lediglich die Frage, warum, abgesehen von Wolfgang Völz als Seeelefant, einmal mehr die üblichen Comedians von Anke Engelke bis Wigald Boning den Figuren ihre Stimmen geliehen haben. Irgendwie scheint in der Branche der Kurz- und Trugschluss „Kinderfilm-lustig-Komiker“ derart eingefahren zu sein, dass man auf weit kompetentere Sprecher deutscher Zunge bereitwillig verzichtet.

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