Der Geiger von Florenz

Deutschland 1925/1926 Spielfilm

Elisabeth Bergner im Film



Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung, Nr. 393, 29.5.1926


Sie ist ein in den Vater verliebtes junges Mädchen, das auf seine neue Stiefmutter eifersüchtig ist. Sie wird in ein Institut nach Lausanne geschickt, wo sie sich als Wildfang gebärdet. Sie verwandelt sich in einen italienischen Gassenjungen, um über die Grenze zu fliehen. Auf einer toskanischen Landstraße spielt sie die Geige, von Kindern umringt. Ein Maler greift den Taugenichts auf, der so jung und wie von Eichendorff ist, und nimmt ihn mit nach Florenz, wo er ihn malt und liebt. Sie ist bei der Schlußapotheose ein in den Maler verliebtes junges Mädchen.

Nicht von dem Spiel allein geht hier die Bezauberung aus; vielmehr von dem Wesen, das ist. Es tritt auch ohne die Stimme hervor. Es drückt sich in dem Verhältnis der Stirn zur Nase aus, es stellt sich im Gehen dar, im Lauf durch den Garten. Die Gestalt schon redet, noch ehe geredet wird. Sie birgt die Gegensätze ineinander. Das Gesicht ist naiv und verderbt zugleich, jung und alt, fraulich und knabenhaft. Dieses Unbestimmbare des Wesens ist es recht eigentlich, dessen Bild erregt. Das Wesen weist über das Geschlecht hinaus.

Darum auch mag die Bergner sich gern in Hosenrollen zeigen. Sie wird dann zur Mignon, jenseits von Mann und Frau. Denn das ist entscheidend: als Junge ist sie nicht männlich, als Mädchen nicht nur Weib. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß ihr Sein zwischen Frau und Mann seine Stelle habe; geprägt wird es von einem geistigen Bereich aus, der oberhalb der Unterscheidung von männlich und weiblich liegt. Das Androgynenhafte verleiht der Bergner jene Zweideutigkeit, die nirgends eine Grenze finden läßt und ihre Gestalt zum Geheimnis macht.

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

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