Der Geiger von Florenz

Deutschland 1925/1926 Spielfilm

Der Geiger von Florenz


–e–, Film-Kurier, Nr. 60, 11.3.1926


Ein Triumph der Bergner in einer Pickfordrolle. Ein psychoanalytisches Backfischexperiment? Die zarteste Seelendeutung, die der Film je vermittelte.

Man spricht im Angesichte dieses Films endlich wieder vom Dasein, spürt Holdheiten des Menschlichen, sieht wieder Frauenzauber, so töricht keusch und so rührend verführt ... Vergessen sind die Produktionsprobleme, Filmfragen. Man lächelt und erlebt den sinnfälligen Wandel eines törichten Mädchens, das aus dem Elternhause vom Vater, den sie innig liebt, in das Schweizer Pensionat kommt, dem sie entflieht, um als Straßenjunge in Italien herumzubummeln. Den vermeintlichen Buben, gerade wie er für einen alten Bettler an der Straße Geige spielt, findet ein Maler, nimmt ihn als Modell in sein Haus – bis er das Weib im Jungen entdeckt und es sich für das Leben verpflichtet.

Ein heiterer, graziöser Pickfordstoff – scheint es. Aber Paul Czinner, der für das Manuskript als Verfasser zeichnet, hat diese moderne Historie der törichten Tochter – mit kaum fühlbaren Anklängen an Halms "Wildfeuer" und "Renaissance" – nicht etwa als eine dankbare Backfischstudie und eine noch dankbarere "Hosenrolle" für die Bergner aufgefaßt. Er hat mit einem ungemein sicheren Filminstinkt die schlichte Handlung zu einer leuchtenden Legende vom törichten Kinde gestaltet.

Und wie unbeschwert, wie flüssig, wie ungekünstelt bieten sich die reizenden Begebenheiten. Wie entwickelt sich eine diskrete Glossierung aller Vorgänge aus den einzelnen Szenen, wie absichtslos spielen da Wind und Wiese, Hund und Mensch im Ringelreihen einer Mädchenseele vorüber.

Weil die große Schauspielerin eben die Elisabeth Bergner ist. "Nju" – das war ein erster Versuch. Diesmal bietet sich eine vollendete Leistung.

Sie beherrscht den Film, sie steht ununterbrochen im Mittelpunkt des Interesses, das an der inneren Melodik der Filmbegebenheit nicht eine Sekunde erlahmt. Obwohl rein äußerlich genommen oft bizarre Kühnheiten der Bildtechnik den Beschauer vor ungewohnte Aufgaben stellen.

Und man muß es mit hoher Befriedigung verkünden, daß das Ungewöhnliche, Besondere der Bergnerschen Darstellung selbst, revolutionierend gegen jede Konvention, mitreißt und begeistert. Das ist Filmkunst von morgen – nicht von vorgestern.

Ein Naturschauspiel – diese Frau. Mit ihrer selbstvergessenen Seligkeit, mit diesem Hinsinken im Gefühl des Augenblicks, dem sie nie ganz erliegt, sondern mit ihrer gesunden Kraft zu entrinnen vermag, dieses reizsame Mädelchen, das ohne Lieb erstickt, unter dem freien Himmel Italiens die güldenste Heiterkeit des Südens verkörpert.

Unvergeßlich – die Atelierszene mit Rilla, der äußerst sympathisch sekundiert. Wie die Zeitlupe die Knabengrazie der Bergner auffängt. Wie sie die Geige am Kinn hält – wie sie durch den Raum gleitet. Das ist die Offenbarung schönster menschlicher Erregung.

Man müßte ein Buch füllen – wollte man die Eindrücke dieser schauspielerischen Leistung registrieren.

Czinner und seine Kameraleute haben Außerordentliches geleistet. Man sah selten eine so vollendete Außenaufnahme wie die Fahrt durch Florenz. Auffallend gute Bauten: Erich Czerwonski.

Das kleine Ensemble um die Bergner hat neben Rilla mit Veidt, N. Gregor, G. Moosheim Ausgeglichenes.

Der persönlichste, stärkste Eindruck des Jahres – das sei wiederholt – geht aber unstreitig von der Bergner aus.

Sie hat alles überspielt und hinweggespült, was wir von filmischen Darbietungen im Gedächtnis hatten.

Der Film – der im Gegensatz zum Skandal der Gloria-Premiere – eines äußerst geschmackvollen Lancements bedarf, wird überall das größte Interesse finden.

Aber die Theaterbesitzer, die den Film spielen, müssen wissen, daß er kein Schaubudenprodukt ist, sondern ein Kunstwerk ist. Herr Waghalter, Generalmusikdirektor, hielt ihn für ein Schaubudenprodukt und lieferte Jahrmarktsmusik. Oder kann er nicht anders? (Gott helfe ihm!)

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