NVA

Deutschland 2004/2005 Spielfilm

Kein Platz für Träumer und Rebellen

Wie es sich für eine Militärklamotte gehört, sind die Fronten in "NVA" klar gezogen. Und auch ansonsten lässt Leander Haußmann in seinem Film kein Klischee aus



Sascha Westphal, Frankfurter Rundschau, 29.09.2005

Leander Haußmann kommt nicht los vom geteilten Deutschland der 1980er Jahre. Nachdem er in "Sonnenallee" einen liebevoll-ironischen Blick auf die Absurditäten im Ost-Berliner Alltag geworfen und dann in "Herr Lehmann" das nicht weniger bizarre Treiben westlich der Mauer unter die Lupe genommen hatte, beschäftigt er sich nun in seinem dritten Spielfilm mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn, den jeder Wehrpflichtige in der Nationalen Volksarmee durchstehen musste.

Der überraschende Erfolg seines Debüts als Kinoregisseur kam damals genau zur richtigen Zeit. Wer in den späten 1990er Jahren nur einige von Haußmanns Inszenierungen am Bochumer Schauspielhaus miterlebt hat, weiß, dass sich seine Form des "Spaßtheaters" abgenützt hatte. Vor diesem Hintergrund wirkte "Sonnenallee" wie ein Befreiungsschlag, zumal sein Status als veritabler Hit Haußmann alle Türen in der deutschen Filmindustrie zu öffnen schien.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. "Sonnenallee" war eben nicht nur ein persönlicher Triumph für einen in eine Sackgasse geratenen Theatermacher. Mit ihm ist zugleich die Welle der Ostalgie ins Kino übergeschwappt. Wie so oft in der Geschichte des Kinos hat der sensationelle Erfolg eines als Außenseiter gehandelten Films auch in diesem Fall einen neuen Markt geschaffen. Seither gehören nostalgische Geschichten aus DDR-Zeiten zum Standardrepertoire des deutschen Kinos und Fernsehens, wenngleich bisher außer "Good Bye, Lenin!" keiner dieser Filme eine ähnliche Wirkung wie Haußmanns Erstling erzielen konnte.

Und so ist es nun an Haußmann selbst, mit "NVA", einer Komödie über die Auflösungserscheinungen innerhalb der Nationalen Volksarmee in den Monaten vor dem Mauerfall, an seinen früheren Hit anzuschließen. Von den Freiheiten, die sich ihm 1999 zu bieten schienen, kann keine Rede mehr sein. Die Filmindustrie hat ihre eigenen, am Markt orientierten Gesetze, und was wie ein Segen aussah, hat sich in einen Fluch verwandelt, der Haußmann zu einem Gefangenen seines Erfolges macht.

Wie es sich für eine waschechte Militärklamotte gehört, sind die Fronten in "NVA" klar gezogen. Auf der einen Seite stehen all die jungen Wehrdienstpflichtigen, die mit dem Militär nichts zutun haben wollen und nun um eineinhalb Jahre ihres Lebens beraubt werden. Auf der anderen Seite stehen die Vertreter eines monströsen Systems das nur ein Ziel kennt: die jungen Rekruten in seelenlose Befehlsempfänger zu verwandeln. Damit sind natürlich auch die Sympathien von Anfang an eindeutig verteilt.

Es ist also ein Leichtes für Haußmann und seinen Co-Autor Thomas Brussig, die Offiziere und Unteroffiziere, die Schleifer und die Mitläufer der Lächerlichkeit preiszugeben. Dass sie dabei nicht einmal vor den plattesten Gags zurückschrecken und uns neben einem weltfremden Kommandanten, den Detlev Bück gewohnt stoisch verkörpert, und einem sich schon am Rande der Senilität bewegenden Hauptfeldwebel auch noch ein schwules Offizierspärchen präsentieren, das mit dem Fall der Mauer sein Coming-out erlebt, verdient fast Bewunderung. Der Mut, mit dem sie sich kopfüber selbst noch auf das abgenutzteste Klischee gestürzt haben, zeugt von Chuzpe und verleiht ihrem Film sogar einen gewissen Charme.

An sich ist in der Welt des Militärs kaum ein Platz für Träumer und Rebellen. Männer wie der von Kim Frank gespielte Henrik Heidler, ein unverbesserlicher Romantiker, der eher in seinen Phantasien als in der Wirklichkeit lebt, und der von Oliver Bröcker dargestellte Krüger, der sich noch dem kleinsten Zeichen von Autorität widersetzt, hätten wohl in jeder Armee einen schweren Stand. In der NVA sind sie praktisch verloren, und es grenzt an ein Wunder, dass sie trotz allem nicht untergehen: Am Ende kommt ihnen der Lauf der Geschichte zur Hilfe und rettet sie gleich einer Fee im Märchen vor dem ihnen gewissen Schicksal.

Dass diese Wendung ins Märchenhafte und Sentimentale trotz des doch eher brachialen Humors des Films zumindest ansatzweise aufgeht, verdanken Haußmann und Brussig allerdings nur Kim Frank, dem Sänger der Pop-Band Echt, der sich in seiner Kinohauptrolle wie ein Schlafwandler durch den Film bewegt. Das macht ihn so perfekt für die Rolle des Rekruten, dessen Form des passiven Widerstands selbst ein ausschließlich auf Erniedrigung und Psychoterror ausgerichtetes System wie das der NVA aushöhlt. Wie an Henrik scheint auch an Kim Frank alles abzuprallen. Er lässt sich selbst von Leander Haußmanns schalsten Einfällen nicht beirren und wird so zum Autor seines eigenen Films, der weitaus melancholischer und auch weiser ist als alles, was seinem Regisseur vorgeschwebt haben mag.

© Sascha Westphal

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