Karbid und Sauerampfer

DDR 1963 Spielfilm

Karbid und Sauerampfer


Erwin Geschonneck: Meine unruhigen Jahre, Hg. v. Günter Agde, Berlin/DDR: Dietz 1984


(…) Und so kam eins zum anderen. Auch die Musik von Joachim Werzlau spielte eine gewisse Rolle: Kalles beschwerlichen Weg untermalte Werzlau mit dem bekannten Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust", sehr witzig variiert und instrumentiert. In diese Variationen, die genau den Situationen angepaßt waren, hatte er außerdem bekannte russische und amerikanische Melodien, zum Beispiel "Kalinka", eingearbeitet. Ich fand, das war eine sehr passende Filmmusik, weil sie das Komische des Films weiterführte.

Besonders lustig war die ziemlich große Szene, in der Kalle in einem Motorboot zwischen sowjetischer und amerikanischer Besatzungsmacht auf der Elbe entlangfährt, immer vorschriftsmäßig nach beiden Seiten grüßend. Ich kenne mich mit Motorbooten nicht gut aus, aber die Techniker der DEFA halfen mir bestens. In "Asta, mein Engelchen" haben wir diese Szene zitiert: Kalle weiß bei seiner Bootsfahrt manchmal nicht, auf welcher Seite er ist. Wenn ich in "Asta" als Pförtner-Schauspieler frage: "Bin ich hier in der sowjetischen Besatzungszone?", so ist das ein Zitat aus "Karbid und Sauerampfer". Im Unterschied zur Originalfigur "verlor" unser Kalle auf seinem Weg fünf Fässer. Dabei ging es mitunter nicht immer nach klassischem Recht und Gesetz zu. Aber die Stationen zeigten insgesamt heitere Seiten, komische Begebenheiten einer ernsten Zeit. Und über allem glänzte der unverwüstliche Optimismus dieses Kalle.

Natürlich haben wir auch Kalles Mutterwitz ordentlich ausgenutzt. Und schließlich: Kalle ist ein Arbeiter reinsten Wassers! Er unternahm das alles nicht für seine eigene Tasche, sondern für seine Kollegen und für seinen Betrieb. Dabei fehlte es ihm nicht an Anfechtungen. Unterwegs sagt ihm einer: "Verkauf das Zeug, du bist ein gemachter Mann!" Oder: "Wozu schindest du dich für andere ab?" Aber Kalle erfüllt treu und ordentlich seine Aufgabe.


Hans Oliva hatte diverse Abenteuer dieses Kalle auf seiner "Reise mit Hindernissen und mit Karbid" notiert. Nun saßen wir oft mit Frank Beyer zusammen, tauschten unsere Gedanken aus, wie man diese hübsche, eigentlich ganz einfache, sehr komische Geschichte ausbauen und zu einem Film machen konnte. Ausgangspunkt war und blieb für uns, daß in einer verworrenen Zeit ein Arbeiter sich auf den Weg macht, um Karbid zu "organisieren". Dann haben wir alles mögliche hinzufabuliert, zum Beispiel, daß dieser Kalle so unheimlich viel Glück bei Frauen hat, daß er, ein eingefleischter Nichtraucher, ausgerechnet in einer Zigarettenfabrik arbeitet, daß Kalle von seinen Kollegen losgeschickt wird, weil er Vegetarier ist, denn da hat er in diesen Hungerzeiten unterwegs keine Ernährungsprobleme.

Daß Kalle Vegetarier ist, stammt von mir, weil ich selber einmal Vegetarier war. Bloß: Komisch wirkt ein Vegetarier natürlich erst in einer Zeit, in der es sowieso kein Fleisch gibt und die Leute hungern. Das verfremdet und wirkt dadurch komisch. Dazu ist dieser Kalle, der sich von Sauerampfer und Kresse ernährt, noch ein sehr kräftiger Mensch, der auch noch viel Kraft bei Frauen hat! Das ist vielleicht ein bißchen übertrieben, aber es ist natürlich auch etwas Wahres daran. Man muß ja nicht immer Fleisch essen. Ich bin ja damals, in den zwanziger Jahren, Vegetarier geworden aus Not, und in den vegetarischen Restaurants gab es billiges, gutes, schmackhaftes Essen, hervorragenden Spinat und Eier, Kartoffelbrei oder süße Grießspeisen.

© Günter Agde

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