Schussangst

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Schussangst

Skurrile Zivi-Komödie von Dito Tsintsadze


Barbara Schweizerhof, epd Film, Nr. 4, 2.4.2004

Der Zivildienstleistende ist in deutschen Filmen fast schon zum Rollenfach geworden. Zwar besitzt er weder die erotische Ausstrahlung eines rebel without a cause noch den aufreizenden Ernst der angry young men, führt aber ähnlich wie diese filmischen Vorbilder ein Leben im Übergang, unentschieden zwischen den magischen Praktiken der Jungs-Welt einerseits und den nur schwer zu akzeptierenden Regeln der Erwachsenen andererseits. In Dito Tsintsadzes "Schussangst" (einer Verfilmung des gleichnamigen Romans von Dirk Kurbjuweit) spielt Fabian Hinrichs den Zivi Lukas Eiserbeck, wie man ihn sich landläufig so vorstellt: ungeschickt, aber nicht ohne Talent im Umgang mit den Alten; bedrückt, aber nicht allzu entsetzt über deren soziale Not; orientierungslos, was die eigenen Lebenspläne angeht, und sexuell unerfahren.

Kein Wunder also, dass er dem Mädchen, das ihm eines Tages im Bus einen Zettel überreicht, auf dem "Hilf mir" steht, sofort hinterherläuft. Nur dass Isabella (Lavinia Wilson) dann doch gar keine Hilfe zu brauchen scheint, so selbstsicher geht sie mit ihm Kaffee trinken und erzählt dabei von Masturbationserfahrungen mit Bananen, Gurken und Kondomen. Auch Mädchen wie Isabella gehören zum festen Figurenarsenal des neueren deutschen Films: zuerst frech und offensiv, dann aber scheu und rätselhaft; kurzum in der Hauptfunktion dazu da, unerfahrenen jungen Männern Kopfzerbrechen und Herzschmerzen zu bereiten. Mit Lukas verfährt Isabella vom ersten Moment an ganz nach ihrem Belieben – sie kommt zu ihm in die Wohnung, legt sich nackt zu ihm ins Bett, weist ihn dann aber zurück. Solch sprunghaftes Verhalten lädt dazu ein, ihm auf den Grund zu gehen. Lukas folgt Isabella und entdeckt dabei, dass sie Kendo macht und außerdem gelegentlichen Sex mit einem älteren Mann hat, der ihr Stiefvater ist. Als Lukas das herausfindet, kauft er sich ein Gewehr.

Die Psycho-Logik der Geschichte sieht vor, dass Lukas nun mehr und mehr den Halt in der Wirklichkeit verliert und in eine Art Wahn abdriftet – die Frau zu retten, von der er gar nicht sicher weiß, ob sie dieser Rettung überhaupt bedarf. Was der Film zeigt, ist aber eher das Gegenteil: Durch den Gewehrkauf kommt Lukas erst richtig in Kontakt mit der Welt. Die Alten, denen er bisher fast ohne Worte das tägliche Essen auf Rädern brachte, übernehmen nun Schlüsselfunktionen. Die Prostituierte hilft ihm mit Unterweltkontakten beim Erwerb der Waffe, der ehemalige Weltkriegsscharfschütze unterweist ihn im Schießen.

"Schussangst", der überraschenderweise 2003 in San Sebastían mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde, will Thriller und schwarze Komödie in einem sein, eine Art "Taxi Driver", gefilmt von den Coen-Brüdern. Er kommt aber über das Skurrile nie hinaus. Was vor allem daran liegt, dass Tsintsadze nur vorgibt, mit den Augen seines Zivildienstleistenden die seltsame Verfasstheit der Welt zu entdecken. Dabei reduziert er sie in Schnitt und Regie auf häppchenartige Szenen, die jedes Verhalten exzentrisch aussehen lassen. Selbst die Auftritte so origineller Schauspieler wie Christoph Waltz als unbedarfter Polizist und Axel Prahl als nächtlicher Taucher verkommen dadurch zu Kabarettnummern.

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