Bergkristall

Deutschland 2004 Spielfilm

Bergkristall

Joseph Vilsmaier hat Stifter verfilmt



Rainer Gansera, epd Film, Nr. 11, 02.11.2004

Mit seiner eigenwilligen Adaption von Adalbert Stifters 1853 publizierter Novelle "Bergkristall" zielt Joseph Vilsmaier mitten in die Herzen der Zuschauer – und trifft. Man mag sich wehren wie man will, am Ende behalten Ergriffenheit und Rührung die Oberhand. Vilsmaier kann an den Tonfall seiner frühen Filme wie Herbstmilch oder Schlafes Bruder anknüpfen, erzählt mit einem beinahe trotzigen Willen zu naiver Direktheit, mischt die sehnsuchtsvoll-zarteren Farben des Versöhnungsmärchens mit den dramatisch-kräftigeren des Heimatfilm-Melos und vermeidet souverän das Abgleiten in sentimentale Idyllik oder dröhnendes Bergfilmpathos.

Dabei setzt der Film mit einem gelinden Schock ein. Im Prolog wird hektischer Actionwirbel veranstaltet: Lawinenalarm in einem heutigen Wintersportstädtchen, Rettungshubschrauber, ahnungslose Discotänzer, eine neu eintreffende, chaotische Urlauberfamilie, die beim befreundeten örtlichen Pfarrer landet, um dort schließlich nach dem Stromausfall – das Tempo verlangsamt sich – in trauter, kerzenbeschienener Runde die Geschichte vom magischen, liebende Versöhnung stiftenden "Bergkristall" zu hören. Der Film rührt das mechanisch Lärmende der heutigen Zeit mit der kleinen Rahmenhandlung forciert auf, um dann 150 Jahre zurück zu springen und mit konzentrierten, intensiven Bildern eine Welt zu beschwören, in der die physischen Rhythmen der Natur und der Körper den Takt angeben: das Stapfen durch Tiefschnee und die bizarren Konturen des Hochgebirges, die ruhigen Verrichtungen des Handwerks und das Ungestüm des Schneesturms.

Die Grundzüge der Story sind bekannt und beibehalten. Sebastian (Daniel Morgenroth), Schuster aus Gschaid, kann die hübsche Färberstochter Susanne (Dana Vavrova) aus Millsdorf für sich gewinnen und heiraten, obwohl althergebrachte Feindschaft zwischen den beiden Gebirgsdörfern herrscht. Ein immer dunkler werdender Schatten liegt auf dieser Ehe, denn Susanne wird als "hochnäsige Fremde" verachtet und gehasst. Sebastian verliert alle Kundschaft, und auch die Kinder, der 13-jährige Konrad und die 11-jährige Sanna, müssen unter Spott, Ablehnung und Isolation leiden. Als sich der in seinem Stolz tief verletzte Mann in Bitterkeit verhärtet, entschließt sich Susanne, ohne die Kinder zu ihren Eltern zurückzukehren.

Diese Wendung der Geschichte, die sich bei Stifter nicht findet, und die auch auf den ersten Blick als etwas zu modern erscheinen mag, erweist sich als geschickter Schachzug. Denn so wird das Motiv der verhängnisvollen Dorf-Fehde umgriffen von einer emotional noch eindringlicheren Konstellation: zwei Kinder zwischen ihren getrennten Eltern. Hinzu kommt, dass die "Fremdenfeindlichkeit" der Gschaider eher plakativ in Szene gesetzt ist, während die Suche der Kinder nach dem "Bergkristall", der einer alten Legende zufolge zwei getrennte Liebende wieder zusammenbringen kann, mit Feingefühl und anteilnehmender Leidenschaft gestaltet ist. Wenn die Kinder immer wieder den beschwerlichen, dreistündigen Weg nach Millsdorf auf sich nehmen, um die Mutter zu besuchen, werden sie in ihrem sehnsüchtigen Verlangen nach der Wiederversöhnung der Eltern zum magnetischen Zentrum des Films.

Die Inszenierung tritt kraftvoll-holzschnittartig auf, hie und da gerät sie hölzern. Gesprochen wird Hochdeutsch, mit den verschiedensten Dialektfärbungen, was anfänglich etwas irritiert und als unfreiwilliger Verfremdungseffekt erscheint. Vor allem die hinreißend-spannungsvoll agierenden Kinder, François Göske und Josefina Vilsmaier, gewinnen mit der Zeit eine Selbstverständlichkeit der Intonation, die einnimmt und bewegt. Die grandiose Landschaft bleibt keineswegs nur Kulisse, wird fühlbares Handlungselement. Vilsmaier filmt niemals nur postkartenschöne Bilder, er zeigt das genaueste Gespür für Tages- und Jahreszeiten, für Wetterumschwünge und die daraus resultierenden Veränderungen der Farben und Bodenbeschaffenheiten. So verleiht er der Dramatik seiner Erzählung die markanteste Kontur.

Rechtsstatus