Agnes und seine Brüder

Deutschland 2004 Spielfilm

Agnes und seine Brüder

Familientragikomödie von Oskar Roehler



Andreas Busche, epd Film, Nr. 1, 01.10.2004

Der traurige Rest der Familie trifft sich zum Kaffeetrinken im Landhaus des Vaters; es gibt Apfelkuchen und unausgesprochene Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs. Der mittlere Sohn Hans-Jörg (Moritz Bleibtreu) hat sich bereits im Vorfeld abgesetzt. Übrig bleibt eine Kernfamilie, die der Fernsehserie "Klimbim" entsprungen sein könnte. Vater Günther (Vadim Glowna) ist ein Hüne in Camouflage-Hosen und mit ergrauter Revoluzzer-Matte. Seine Frau ist vor langer Zeit gestorben – laut Vater im Stammheimer Gefängnis an Folter –, und seitdem lebt er, mit einem Mann, zurückgezogen in seinem Landhaus. Werner, der älteste Sohn, ist der Karrierist der Familie, ein grüner Politiker, der mit der Durchsetzung des Dosenpfands seinen ersten großen politischen Coup landen will. Gespielt von Herbert Knaup ist die Figur des Werner zweifellos von Jürgen Trittin inspiriert, doch zu einer ernsten Auseinandersetzung reicht es in Oskar Roehlers neuem Film "Agnes und seine Brüder" nicht. Knaup gibt den Politkabarettisten der schrillen Töne, das Bild eines Öko-Karrieristen, der die Büsche in seinem Garten streichelt und tote Tiere im Naturdarm in sich reinstopft.

Einziges Kind mit so etwas wie Selbstachtung ist der jüngste Sohn (Martin Weiß), der nach einer Operation das Leben einer Frau, der titelgebenden Agnes, führt. Die Zusammenkunft ist ganz offensichtlich für niemanden ein Spaß, und die psychologischen Spiele zwischen Beschwichtigung und Anklage zeugen von dem ritualhaften Charakter dieser Familientreffen. Etwas Unverarbeitetes liegt in der Luft, und wenn Roehler mit seinem Film überhaupt eine Parallele zu den gesellschaftlichen Verhältnissen der BRD im Jahr 2004 ziehen kann, dann in diesem Gefühl der traumatischen Verdrängung. Nur legt er in "Agnes und seine Brüder" einen erstaunlichen Tunnelblick an den Tag.


Der Geist der Achtundsechziger – Roehlers Universalschuldige für fast alles, was in den letzten 20 Jahren in Deutschland schiefgelaufen ist (das hat er mit der konservativen Kulturkritik gemein) – durchzieht "Agnes und seine Brüder" in allen Schwundformen. Am Ende haben die anti-autoritären Erziehungsmethoden der Eltern lauter emotionale und soziale Krüppel hervorgebracht. Hans-Jörg, notorisch sexsüchtig, hechelt in der Bibliothek den kurzen Röcken der Studentinnen hinterher. Werner verrichtet seine Notdurft auf einem Blatt Papier im Büro und richtet in seinen Träumen ein Massaker an seiner Familie an.

Allein Agnes, deren Sexualität in der Fantasie Hans-Jörgs ebenfalls in einen obskuren Zusammenhang mit dem Sexualverhalten des Vaters gestellt wird, ist eine aufrichtig traurige Gestalt in diesem verrohten Haufen; die Figur erinnert an Elvira Weishaupt aus Fassbinders "In einem Jahr mit 13 Monden" – und das ist kein Zufall. Denn die Tragik, das Sehnsuchtsvolle von Roehlers Figuren ist in der Tat nur Zitat, entliehen von Filmemachern wie Fassbinder oder auch Rossellini, dessen [sic!] "Rocco und seine Brüder" ganz offensichtlich für Roehlers Filmtitel Pate stand. Roehlers Figuren wirken in ihrer Traurigkeit wie Karikaturen, zu sich selbst scheinen sie nur in Momenten grotesk hochgepushter Hysterie zu finden.

Therapeutische Erzählsituationen sind ohnehin nicht Roehlers Ding. In "Die Unberührbare" setzte er sich mit dem Andenken seiner Mutter auseinander. "Suck my Dick" ist eine einzige Therapiesitzung, und auch in "Agnes und seine Brüder" ist die Therapie ein Leitmotiv. Am Anfang erzählt Agnes in die Kamera ihrer Freundin Roxy (Fassbinder-Schauspielerin Margit Carstensen), dass ihr Vater nur in besoffenem Zustand von der Mutter erzählen kann. Später begleitet der Film Hans- Jörg mehrmals in seine Gruppentherapie für anonyme Sexsüchtige. Von Roehlers Filmen geht immer etwas Zwanghaftes, Rohes aus – die feinen Zwischentöne trifft er nur selten, das gilt sowohl für die tragischen wie auch die komödiantischen Qualitäten seiner Figuren. Die Verhaltensmuster seiner Figuren sind leicht durchschaubar. Deswegen muss "Agnes und seine Brüder" auch als Gesellschaftsporträt scheitern.

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