Don Carlos und Elisabeth

Deutschland 1923/1924 Spielfilm

Carlos und Elisabeth


Willy Haas, Film-Kurier, Nr. 50, 27.2.1924


Wenn man über einen Film von Richard Oswald schreibt, so möchte man immer am liebsten nur von dem Mann selbst sprechen, der, alles in allem, einer der interessantesten, aufreizendsten, innerlich lebendigsten Köpfe der ganzen deutschen Filmindustrie ist. Vom Quecksilber unterscheidet ihn nur seine vollständige Unberechenbarkeit – indem er sich nämlich bei Produktionskälte nicht zusammenzieht und bei Produktionshitze nicht ausdehnt, sondern immer mit derselben halsbrecherischen Beweglichkeit weiter existiert, hic et ubique (Hier und überall, Anm. d. Red.). (...)

So kam es also eines Tages, – will sagen: gestern abends, dazu, daß er uns natürlich wieder einen "historischen Großfilm" zeigte: "Carlos und Elisabeth", nach Schiller, Dom Real, Massinger und ichweißnichtwelchen Quellen noch. (...)

Darinnen steht, vor allem, eine ganz unvergeßliche Figur: Eugen Klöpfer als König Philipp. Sein Gesicht schon füllt jeden dekorativen Rahmen, auch den breitesten und pompösesten. Eigentlich das Gesicht eines stolzen Bauernadeligen, eines Oberhofbauern, eines Alkalden von Zalamea (er müsste herrlich in dieser Rolle sein), leuchtend vor Machtbewußtsein, Selbstgefühl, beinahe angeschwellt vor übermächtiger Lebensfreude, maßlos im Genuß wie in der Verzweiflung. Ist das "König Philipp"? Warum nicht! Aus der bloßen finsteren Starrheit heraus war der Rahmen nicht mit tragischem Leben zu füllen – es wäre unter der Übermacht der dekorativen Ornamente selbst zum Ornament erstarrt. Dieser Philipp ist ein Kondottiere, eine Renaissance-Bestie, – aber schon untergraben, am Zusammenstürzen vor dem skrupulös-zerfaserten, intellektuellen Basiliskenblick der katholischen Inquisition. Ihm gegenüber steht zweimal – als Don Carlos und dessen Großvater Karl V. zugleich – Conrad Veidt: der ganz Zerfallende, ganz Zerfurchte: einmal – als Karl V. – dort, wo er schon ganz innerlich fertig ist mit dieser Welt; dann – als Don Carlos – wo er, haltlos und zweifelnd zutiefst, ein bleicher, junger Neurastheniker, doch noch einmal, mit der unnatürlich forcierten Kraft des Neurasthenikers, die Ketten verzweifelt zu zerreißen sucht – – die sich doch, und gerade deshalb, enger und enger zusammenziehen, bis zum heroisch-melancholisch-don-quichotesten Ende. (...)

Der Gesamteindruck dieser handfesten, zuweilen brutalen, immer ganz bewußt volkstümlichen Tatsache ist – – prachtvoll. Manchmal wie der Eindruck eines ungezähmten Raubtieres. Manchmal wie das Traumschwelgen eines Kindes. Aber "das Publikum in seiner Gesamtheit steht auf dem Plateau etwa eines zehnjährigen Kindes", hat Richard Oswald einmal gesagt. Er malt die Traumorgien eines solchen wilden Knaben nach – und was noch Kind, ist zum Schluß nicht nur ganz benommen – – sondern auch: was Mann in uns großen Kindern ist, ist ganz eingenommen. "Ein Publikumsreißer" – gewiß; aber das Problem des Anschlusses an eine breite, populäre Basis scheint mir heute für den deutschen Film wichtiger, als das der Absonderung und Wahrung eines kostbaren verfeinerten Ich.

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