Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder!

Deutschland 1994/1995 Spielfilm

Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder



Rudolf Worschech, epd Film, Nr. 4, April 1996


Hans-Christoph Blumenbergs letzter Film, die von ihm selbst so genannte "Rezessionskomödie" "Rotwang muß weg", war dem deutschen Schauspieler und Regisseur Reinhold Schünzel gewidmet. "Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder" beschäftigt sich nun mit der Vita Schünzels, der in den späten zwanziger Jahren vor allem als Darsteller von Schurkenrollen bekannt wurde. "Er ist der zynische, schleimige, brutalegoistische, wendig-charakterlose, schieberische Sohn unserer Zeit", schrieb die Fachzeitschrift "Lichtbild-Bühne" im Jahr 1929 über ihn.

"Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder" setzt mit dem Jahr 1926 ein und spannt den Bogen bis zu Schünzels Tod im Jahr 1953. Blumenberg hat "Beim nächsten Kuss ..." im Stil eines Lehrstücks inszeniert. Der Film, dessen Titel einen Satz aus Schünzels "Land der Liebe" zitiert, besteht aus 33 Episoden, die durch Zwischentitel und manchmal auch durch einen erklärenden Off-Kommentar eingeleitet sind. Er hält sich weitgehend an bekannte und nachprüfbare Fakten.

Das Hauptgewicht legt Blumenberg auf die Nazizeit und die Jahre des Exils. Schünzel galt nach 1933 als "Halbjude", durfte aber mit einer Sondergenehmigung weiterhin Filme drehen, die auch heute noch zu den interessantesten des "Dritten Reichs" zählen: "Viktor und Viktoria" (1933), "Amphitryon" (1935) oder "Land der Liebe" (1937). "Beim nächsten Kuss knall" ich Ihn nieder" beschreibt das schwierige Lavieren des Künstlers. Die "Machtübernahme" überrascht Schünzel bei Dreharbeiten zu "Saison in Kairo" in Ägypten, und er kommentiert sie nur kurz mit einem "Braun hat mir noch nie gestanden". Schünzel nimmt sich den Mächtigen gegenüber viel heraus, pokert hoch mit dem Reichsfilmdramaturgen Dr. Hinkel, begegnet ihm mit einer Nonchalance, die sich aus Devotheit und Unverfrorenheit zusammensetzt. Und eine Zeitlang kommt er damit durch: Für "Amphitryon" kommandiert Adolf Hitler (Schünzel: "Ich bin der böse Floh in seinem braunen Pelz") 250 Soldaten seiner Leibstandarte zu den Dreharbeiten ab, damit sie als griechische Krieger in dem Film auftreten können. Erst als in "Land Der Liebe" die Anspielungen zu deutlich werden und die Ufa eine interne Vorführung abbricht, flieht Schünzel aus Deutschland.

"Reinhold Schünzel macht Reinhold Schünzel-Filme – sonst gar nichts", läßt Blumenberg den Regisseur einmal sagen. Blumenberg liefert mehrere Gründe dafür, daß Schünzel auch dann blieb, als seine jüdischen Kollegen schon längst geflohen waren. Es war nicht nur der Wille, weiterhin in Deutschland Filme zu machen. Schünzel ist innerhalb des Nazi-Kulturbetriebs ein privilegierter Mann, der stolz ist, seinem Freund und Produzenten Günther Stapenhorst gegenüber mit seinem neuen Vertrag und der für die damalige Zeit unglaublichen Summe von 95.000 Reichsmark für die nächsten beiden Filme prahlen zu können.

Geld spielt eine wichtige Rolle in "Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder", es dient für Schünzel auch als Mittel zur Selbstvergewisserung. In Karlsbad feilscht er mit dem MGM-Boß Louis B. Mayer um seine Wochengage als Regisseur in Hollywood. Mit der Emigration beginnt der Abstieg, dem nie ein Comeback folgte. In Hollywood, wo Schünzel zwischen 1938 und 1941 vier Filme inszenieren konnte und, wie viele schauspielernde Emigranten, in Anti-Nazi-Filmen mitzuspielen gezwungen war, konnte er nie recht Fuß fassen, und im nachkriegs-deutschen Film kam er über eine Regiearbeit (uncredited), ein Drehbuch und zwei Nebenrollen nicht hinaus. Eine der letzten Einstellungen von "Beim nächsten Kuss ..." zeigt Schünzel in seinem Münchner Hotel bei einem Telefonat mit seiner Tochter in den USA. Er will wieder in die USA zurück, will beim neuen Medium Fernsehen arbeiten, aber "billig" ist er nicht.

"Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder" macht keinen Hehl aus den Beschränkungen seines Budgets, arbeitet mit spartanischen Dekors und verzichtet auf Naturalismus. Blumenberg genügen ein paar Scheinwerfer und eine Kamera, um ein Studio anzudeuten, und eine Hakenkreuzfahne im Hintergrund, um das Büro des Reichsfilmdramaturgen auszustatten. Manche Dialogzeile gerät etwas zu thesenhaft, aber das großartige Spiel von Peter Fitz als Reinhold Schünzel kaschiert die hölzernen Stellen des Drehbuchs. Blumenberg verwendet auch die Kargheit der Ausstattung als dramaturgisches Moment, wenn er etwa den Verwalter von Bundesbürgschaften, Dr. Wulf, in der gleichen Dekoration auftreten läßt wie den Reichsfilmdramaturgen, Dr. Hinkel. Beide werden übrigens vom selben Schauspieler, Eutz Herkenrath, verkörpert.

Sicherlich ist "Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder" kein "großes" Kino, kein Film nach dem Muster "menschliche Tragik vor dem Hintergrund einer bewegenden Zeitgeschichte". Aber Blumenberg ist eine wichtige Annäherung und große Hommage an einen der zu Unrecht Vergessenen der deutschen Filmgeschichte und des Filmexils gelungen.


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