Was nützt die Liebe in Gedanken

Deutschland 2002-2004 Spielfilm

Was nützt die Liebe in Gedanken

Eine neue Verfilmung des Romans "Der Selbstmörderclub"



Gerhard Midding, epd Film, Nr. 2, 03.02.2004
Das Sprechen besitzt keine Selbstverständlichkeit in diesem Film, von der ersten Szene an. Es ist eine Überwindung des Schweigens, ein Abschiednehmen vom Gedanken. Verstört wirkt Paul (Daniel Brühl) anfangs beim Verhör durch die Polizei, fassungslos ob der Dinge, die passiert sind. Innerlich hat er sich weit entfernt aus dieser Situation, er löst sich aus dem Zugriff der Justiz mit den Worten "Sie verstehen nichts. "Was nützt die Liebe in Gedanken?" basiert auf einem Ereignis, das 1927 großes Aufsehen erregte – die so genannte "Steglitzer Schülertragödie", der Verabredung zweier Oberprimaner, sich selbst und die, die sie lieben, dem Tod zu weihen. Paul und Günther (August Diehl) schlossen einen Pakt, Günthers Schwester Hilde (Anna Maria Mühe) und Hans (Thure Lindhardt), der der Liebhaber beider Geschwister war, zu töten.

Bereits zweimal hat das Drama dem Kino als Stoff gedient: 1929 verfilmte Carl Boese es als "Geschminkte Jugend"; Max Nossecks Remake aus dem Jahre 1960 mit dem gleichen Titel war eines der kurioseren Fundstücke der "European Sixties"-Retrospektive der Berlinale 2002. Von Borries entfaltet die Geschichte als Rückblende, als schicksalhafte Konsequenz. In dieser nochmaligen Rückverlegung in die Vergangenheit ist zu spüren, dass ihn die Historizität des Dramas zunächst zögern ließ, als würden die zeitgenössischen Kostüme, Dekors und Frisuren den Blick auf die Figuren verstellen.

Von Borries" Sensibilität ist der Truffauts diametral entgegengesetzt, der die Heftigkeit der Gefühle stets besser aufgehoben wusste in einem historischen Ambiente. Von Borries und seine Kamerafrau Jutta Pohlmann beweisen freilich ein sicheres Gespür für die tückisch lichte, sommerliche Atmosphäre dieser Begebenheit. Entschlossen entkleiden sie den Film von allem dekorativen Tanz-auf-dem-Vulkan-Zeitkolorit. Nachgerade intimistisch wirkt er, kann sich indes bisweilen weder der Tyrannei der Großaufnahme noch einiger läppischer Anachronismen entziehen. Dabei ist genug Zeitloses in der Geschichte aufgehoben, die einen an jeder neuen Wendung zu Goethe (und nicht nur zu dessen "Werther") zurückzuführen scheint: die Erfahrung des ersten Mals, bei dem die Liebe selbst mehr gilt als ihr Objekt; der tragische Hochmut der beiden Protagonisten, den Zenit der eigenen Liebesfähigkeit, mithin alle Höhen des Glücks und Tiefen der Verzweiflung, erreicht zu haben.


Die Angst vor dem zweiten Film hat den Regisseur nach seinem hochgelobten Debüt "England!" einen klugen Kurswechsel vornehmen lassen. Zwar sind Thure Lindhardt und Anna Maria Mühe geradezu fahrlässig besetzt (Lindhardts Narzissmus wirkt ungelenk, Mühe fehlt es an bezwingendem Charisma), aber in Daniel Brühl und August Diehl findet der Film ein eindringliches Zentrum. Überdies ist er ein bemerkenswertes Pendant zu Bertoluccis "Die Träumer": Auch hier geht es um ein unergründlich verstricktes Geschwisterpaar und ihren faszinierten Satelliten, auch hier wird der nächtliche Lichtschein unter der Türschwelle des Schlafzimmers zur Verlockung.

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