Die Reise nach Sundevit

DDR 1965/1966 Spielfilm

Die Reise nach Sundevit


Rainer Simon, Filmwissenschaftliche Mitteilungen, Berlin/DDR, Nr. 3/4, 1966


(…) Benno Pludras Erzählung von der "Reise nach Sundevit" hat den Vorteil, im Kern all die Möglichkeiten zu vereinen die ein gutes, undidaktisches Kinderbuch auszeichnen. Der Autor achtet Timm als selbständiges Individuum und behandelt demzufolge die Gewissenskonflikte Timms, seine Entscheidungen, seine Fehler und vor allem seine menschlichen Qualitäten, die sich in scheinbar unbedeutenden Situationen offenbaren, mit der Wichtigkeit, die sie für Timm haben. Die Ferienreise nach Sundevit ist für Timm ein äußerliches Ereignis. Seine Bedeutsamkeit für Timm wird im Film motiviert und gegenüber dem Buch noch vertieft durch die Szene, in der sich Timm mit seiner "Steinmannschaft" am Strand unterhält. Timm hat im Sommer keine Spielkameraden. Er vertreibt sich allein die Zeit, und seine "Gesprächspartner" sind selbstmodellierte Figuren aus Stein und Sand die Personen aus der "Schatzinsel" darstellen. Um so verständlicher ist seine große Freude, von der fremden Pioniergruppe zur Reise nach Sundevit eingeladen zu werden.

Der Film erzählt, welche Hindernisse Timm begegnen bis sich sein Wunsch erfüllt. Es sind keine Hindernisse, die ihm eine feindlich gesinnte Umwelt entgegenstellt, sondern es sind Situationen, in denen Timm zu entscheiden hat ob er nur an seine Fahrt denkend, alles andere, alle Sorgen und Note anderer Menschen vergißt oder ob er selbstlos hilft auch wenn er seine persönlichen Interessen dabei aufs Spiel setzt. Die alltäglichen Situationen, in die er gerät, verlangen ihm keine Heldentaten ab, es winkt auch kein Rühm für gute Taten, ihnen wird von vornherein alles Heroische genommen; sie sprechen in ihrer Einfachheit für die menschlichen Qualitäten dieses Kindes, die zur vollen Entfaltung kommen können in einer Gesellschaft, in der der Mensch die Möglichkeit hat, des Menschen Freund zu sein. Dennoch vermeidet es der Film eine "Idealgesellschaft" zu entwerfen; die Erwachsenen, denen Timm begegnet (zu ihrer künstlerischen Gestaltung später), sind nicht etwa schon alle uneigennützig. Unverständnis, Egoismus und Überheblichkeit kennzeichnen hier noch oft den Charakter. Besonders zu danken ist es dem Film, daß er den Charakter seines Haupthelden nicht vereinfacht. Timm ist kein Tugendbold, er ist so lebendig wie jedes Kind seines Alters. Im inneren Ringen, sich selbst überwindend, entscheidet er sich und macht dadurch seine Handlungsweise dem kindlichen Zuschauer verständlich und nacherlebbar; darüber hinaus erhöht sich ihr Wert, weil sie nicht nur instinktiv, sondern als Folge eines Denkprozesses ausgeführt wird. Der Held wird lebendig, weil sein Charakter in seiner Widersprüchlichkeit aufgedeckt wird und dadurch menschliche Tiefe erhält. Timm macht im Film kaum eine Entwicklung durch, sondern es werden seine psychischen Qualitäten aufgedeckt, indem gezeigt wird, wie Timm in bestimmten Situationen auf Umweltereignisse reagiert, wie er sich entscheidet. Wichtig ist dabei, daß Timms Reaktionen und Entscheidungen aus seinem Charakter in Korrespondenz mit seiner Umwelt verständlich motiviert werden, ohne daß sie vom Künstler als positives (oder negatives) Beispiel mit pädagogischem Ausrufezeichen deklariert werden. Das ist einmal eine Frage des dramaturgischen Aufbaus, ob die Episoden, die Timm erlebt, der Vielfalt und Differenziertheit unserer Wirklichkeit entsprechen; zum anderen, inwieweit es Regie und Kamera gelingt, die den Jungen charakterisierenden Reaktionen in ihrer Ursprünglichkeit und Widersprüchlichkeit auf den Filmstreifen zu bannen. Heiner Carow hat in dem kleinen Ralf Strohbach ein außergewöhnlich mimisch begabtes Kind für die Hauptrolle gefunden. In seinem Spiel werden feinste psychische Erlebnisse sichtbar, die es ermöglichen, das innere Ringen des Jungen in seiner Kompliziertheit aufzudecken. (…)

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