Utopia

BR Deutschland 1982/1983 Spielfilm

Utopia


Paula Linhart, film-dienst, Nr. 21, 16.10.1984

Die Geschichte von fünf Prostituierten, die sich in einem Bordell verkaufen, um damit ihre Zukunft einzukaufen. Ihre Vorgeschichte wird nur kurz skizziert, soziale Elendstypen sind sie nicht. Ihre Wunschziele sind im einzelnen verschieden, aber gemeinsam ist die Vorstellung, daß sie nur mit viel Geld zu haben sind. Für diese Fata Morgana von Reichtum und Luxus bezahlen sie mit harter Münze. Denn Heinz, der Betreiber des "Club Arena", ist ein sadistischer Sklavenhalter, der ihre innere Abhängigkeit vom Zukunftsparadies rigoros ausnützt. Er verschachert sie wie Ware nach dem Begehren seiner Kunden, kassiert ihre Einnahmen mit hohem Eigengewinn, treibt die Preise für geforderte "Sonderleistungen" hoch und macht aus dem Bordell auch gleich seinen eigenen Selbstbedienungsladen, in dem er die Frauen seiner Gewalt und Lust unterwirft. Ihren aufkeimenden Widerstand bricht er durch Drohung und brutale Züchtigungen. Allmählich entwickeln die Frauen aus ihrem Stau von Furcht, Erniedrigung und Rachegefühlen Fantasien von Mordlust, die sich zuletzt in einer entfesselten Tötungsorgie entladen. Aber worin – fragt der entnervte Zuschauer bei der stereotypen Festschreibung dieser Fron – besteht der Zwang dieser sklavenhaften Abhängigkeit, woraus die Lethargie gegen Vernunft und Selbstbewahrung? Susi, eine Studentin, die sich durch ihre eigene Wohnung einen kleinen emanzipatorischen Spielraum erhalten hat, kehrt freiwillig in die Hölle zurück, aus der sie, von Heinz blutig geschlagen, vorher geflüchtet ist; und warum springt Monika, die ihm am wehrlosesten ausgeliefert war, nach ihrem Selbstmordversuch nicht einfach ab? Des Rätsels Pointe ist dann auch das Ende des Films: Nachdem die Frauen ihren Peiniger wie ein Tier abgestochen haben und ein ahnungsloser Kunde das Haus betritt, übernimmt Renate, mit Heinz" Befehlswort "An die Arbeit" forsch das Kommando. Nur die Rolle wurde getauscht.

Der Titel des Films bietet sich als erstes Schlüsselwort an, aber seine Motivationsvorgabe reicht nicht weit. So bleibt ein weites Feld für assoziative Verknüpfungen und Deutung, ein lebhafter Tummelplatz für Widersprüchliches! Geschichte und Personen lassen sich ins Symbolhafte verankern: das Bordell als Ort vergeblicher Lebensträume, als Metapher für das Spannungsfeld von Macht und Ohnmacht, Unterdrücker und Opfer in der gesellschaftlichen Wirklichkeit; als Bild einer Welt von Zwängen ohne Fluchtweg; als Zerrspiegel des Menschen, der seine Würde verloren hat; als Version von Sartres "Geschlossener Gesellschaft": die Verewigung eines selbstgeschaffenen Zustandes. Der Zuschauer kann den Film aber auch im Kontext psychologischer Ungereimtheiten sehen, als ausgereizte Konstruktion, und mit Widerwillen, ja Ekel auf die kalte Direktheit des abbildhaften Szenariums reagieren, das der Film als Auslöser existentieller Sinnfragen braucht, ja mißbraucht. Um genau 198 Minuten scheint ihm der Film dann zu lang (und für den Bildschirm völlig ungeeignet)! Sohrab Shahid Saless bringt aus seinem Metier als Dokumentarfilmer den exakten Blick für Milieubeschreibung mit. Er erlaubt sich keine schnörkelhaften Zutaten, achtet aber sorgfältig auf den Stellenwert der Requisiten, Bildrhythmus, Farbgebung und Lichttönung. Er spekuliert dabei weder auf "Stimmung" noch auf Voyeure. Aber sein, bis in jede schamlose Ecke ausgeleuchtetes Modell zwingt den Zuschauer wider Willen in diese Rolle.

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