Bunte Hunde

Deutschland 1994/1995 Spielfilm

Die Sonne scheint bei anderen Leuten




Norbert Grob, Die Zeit, 18.08.1995

Keine Hoffnung, nirgends. Überall nur Apathie und Gleichmut. Jeder tut bloß, was er tun zu sollen glaubt. Alles, was geschieht, bleibt Reflex auf den Alltag, der niemanden mehr anspornt. Kein Traum dahinter und keine Moral. Die einen tanzen auf dem Drahtseil, jenseits der Legalität. Die anderen ordnen, was aus dem Ruder läuft. Die einen klauen Autos, die anderen fangen und sperren ein.

Die Zeit ist abgelaufen, noch ehe sie recht begonnen hat. Für beide Seiten: temps perdu. Die Gauner wappnen sich mit Machogehabe oder Clownerie, die Polizisten mit coolness, mit angewidertem Mienenspiel.

In Lars Beckers Filmen und Romanen gibt es weder Botschaft noch Erklärung. Er will nicht erläutern und nicht belehren, er will einfach präsentieren, was auch da ist. Er erzählt - schlicht, präzise, mit Hang zu kühler Stilisierung - von Menschen, die verlieren, wieder und wieder, und dabei ständig versuchen, den Schaden zu begrenzen. Der Ratschlag, den einer der Helden einmal mit auf den Weg kriegt: "Die Sonne scheint bei anderen Leuten." Becker präsentiert Episoden aus dem Leben von Taugenichtsen, die gegen Windmühlen rennen, um sich in Bewegung zu halten. Die sich nicht aufhalten mit Pläneschmieden, sondern sofort loslegen, damit überhaupt noch etwas passiert. Sie sind die späten Kinder von Fassbinders "Göttern der Pest", denen Liebe kälter war als der Tod. Ihr Tatendrang wirkt wie das Singen kleiner Kinder im Dunkeln. Es soll Dämonen verscheuchen: spielerisch Stärke zeigen, wo doch nur Schwäche ist. Es soll die Angst nehmen vor allem, was unklar ist, unerklärlich, ungewiss. Doch selbst der gelungene Coup bringt keine Lösung: "Irgendwann geht jedes Wild auf die Lichtung", sagt der Polizist (Christian Redl) in "Bunte Hunde". Er weiß, dass sein Gegner keine Chance hat - und er keine Möglichkeit, seine eigenen Chancen nicht zu nutzen.

Selbstverständlich hat das wenig mit der konkreten Realität zu tun. Die wirklich großen Krimis, von Hawks aus Hollywood, Melville aus Paris, Francesco Rosi aus Rom, nahmen eher die Stimmung einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit, verknüpften, was in tune war, mit dramatischem Geschehen - und verdichteten so das Handeln ihrer Helden zu überaus märchenhaften Geschichten. Wobei gerade das Irreale zurückwirkte auf das alltägliche Leben der Zuschauer: das Tempo bei Hawks, die Verklärung bei Melville, die Rätsel bei Rosi. Krimis, das zeigen alle Klassiker des Kinos, bieten keine Beschreibung von Zuständen, sondern mythisierte Angebote an Zuschauer, Menschen und Orte ihrer Zeit mit ganz anderen Augen zu sehen.



Fremd die Heimat, unwirtlich das Zuhause: Eine schäbige, triste Welt ist es, die Lars Becker in seinen Romanen und Filmen zeichnet. In "Kalte Heimat" erzählt er von einem Südafrikaner in Hamburg, der, ohne Chance auf ein anständiges Leben zu Hause, in der neuen Heimat durch eine Verwechslung gejagt und erschossen wird. Im Roman "Amigo" geht es um einen Südtiroler Exterroristen, der, von alten Kumpanen verraten und ausgenommen, einen Rachfeldzug beginnt, ohne dadurch eine Zukunft zu finden. Im Mittelpunkt seines Kinofilms "Schattenboxer" steht ein Hamburger Ganove, der, gerade aus der Haft entlassen, mit ein paar Kumpanen seinen ghanesischen Freund befreit, um ihn vor der Abschiebung zu bewahren, und dadurch zwischen alle Fronten gerät. Er ist der einzige unter Beckers Helden, der überlebt; auch weil er das Unvorstellbare zu tun bereit ist, ohne das Selbstverständliche zu lassen.

"Bunte Hunde" bietet in gewissem Sinn eine Summe all dieser Motive. Der Film erzählt von einem Autoknacker (Peter Lohmeyer), der verraten wird von seinem besten Freund (Til Schweiger). Ins Gefängnis kommt. Ausbricht. Von einer Frau wieder verraten wird. Durch eine spektakuläre Geiselnahme erneut freikommt. Und am Ende im Kugelhagel der Polizei stirbt, dabei den Freund beschützend, der ihn anfangs ausgeliefert hatte. Doch diesmal wird, anders als in "Schattenboxer", die Spannung und Geradlinigkeit der Geschichte durch komödiantische Töne gebrochen. Die Kamera, immer auf der Suche nach episodischem Beiwerk, läßt den Figuren zuwenig Raum. Dadurch verliert der Film einiges von der mythischen Dichte, die Beckers Erzählungen sonst auszeichnet.

Leben in Deutschland, am Rande der Karrieregesellschaft, das ist Lars Beckers zentrales Thema, in seinen Filmen wie in seinen Romanen: Phantasien über die große Müdigkeit, über die definitive Resignation nach dem Tod der Utopien. "Wodka und Tranquilizer waren die Downer, mit denen Bruno seine perspektivlosen 51 Jahre betäubte und die ihn auf ein sanftes, träges Level brachten. 25 Jahre war er ohne ausgekommen, weder Speed noch Valium, nicht mal Aspirin. Er hatte nicht ein einziges Mal in seiner Barkeeper-Karriere schlappgemacht. Karriere, mein Gott: vom Barchef in Paris zum Bankhalter im Arbeitsamt. Neuestes Angebot: Lagerarbeiter (zur Aushilfe) im Getränkegroßmarkt Ossdorf" ("Amigo").

Auf der einen Seite: Polizisten, die mehr an ihren Deals als an ihrem Jobinteressiert sind (in "Schattenboxer") oder als kühle Pragmatiker stoisch und illusionslos einfach ihrer Arbeit nachgehen (in "Bunte Hunde"). "Sauerland nimmt seinen Job noch persönlich", denkt in "Amigo" ein Kommissar einmal belustigt über einen Kollegen. "Er hatte das nie getan. Weder in Sauerlands Alter, mit dreißig, noch jetzt, mit knapp fünfzig. Die mangelnde Emotionalität hatte ihm in der Mordkommission den Spitznamen Eisbär verschafft."



Auf der anderen Seite: listenreiche Gauner - ohne moralischen Zeigefinger, ohne jeden Hang zur Besserwisserei gesehen. Ehemalige Revolutionäre im Exil. Barkeeper mit Legionärserfahrung. Kickboxer. Autoschieber. Knastbrüder mit Blick für gute Geschäfte. Racheengel, für die ihre Walther P-38 "ein Trumpf" ist. Der typische Becker-Held: "kein Fisch im Wasser ".., ein Fremdkörper, schon immer. Messer im Reifen. Zucker im Tank. Knarre in der Bank. Brechmittel im Saumagen. Irgendwann würde er ausgespien."

© Norbert Grob

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