Regie, Drehbuch, Produzent
Berlin

Eine Nummer größer

Gespräch mit Robert Thalheim (August 2007)


Sie zeigen auch die Sehnsucht nach Normalität in der polnischen Stadt, die Diskrepanz zwischen Vergangenheit und Heute.

Thalheim: Genau diese Diskrepanz hat mich interessiert. Für die Menschen, die dort leben und aufgewachsen sind, ist das Thema natürlich ganz anders besetzt als für einen jungen Deutschen, der da erst einmal wegen der Vergangenheit hinkommt. Die Einwohner von Oswiecim sehen täglich die Touristenbusse, die Besuchermassen ins Konzentrationslager karren. Nur: Die fahren wieder weg, während sie bleiben. Da ist es verständlich, dass die Einheimischen ihren Alltag und nicht in ständiger Ausnahmesituation leben wollen. Man kann ihnen die Vergangenheit doch nicht zwangsweise auf den Buckel binden. So lernt mein Protagonist, sich auf die Widersprüche einzulassen, sie zu akzeptieren.

"Am Ende kommen Touristen" ist ihr zweiter Spielfilm. Es heißt immer, der zweite Film ist besonders schwierig.

Thalheim: Auf jeden Fall. Wahrscheinlich ist jeder Film schwierig, aber ich habe nach dem Überraschungserfolg von "Netto" einen höheren Druck verspürt. Man ist noch nicht so professionell und routiniert, dass man einen Film nach dem anderen dreht, aber auch nicht mehr so naiv, dass man einfach loslegt. Dieses Zwitterstadium macht die Arbeit schwer. Dass ein Teil des Teams schon bei "Netto" dabei war, gab mir Sicherheit; wir kämpften alle mit dem Problem des zweiten Films und ähnlichen Ängsten, konnten aber ehrlich miteinander umgehen. Diese Situation schweißte uns noch mehr zusammen. Ich erinnere mich an Momente, wo wir uns in die Augen guckten und wussten, das hier ist nicht "Netto", sondern schon eine Nummer größer. Man steht unter anderen Zwängen und handelt nicht mehr so frei von der Leber weg.

Was waren rückblickend Ihre Erfahrungen in Cannes?

Thalheim: Es war total irreal in der Nachbarschaft von großen Regisseuren, die mich geprägt haben, meinen Film zu präsentieren. Jetzt läuft er auf deutschem Parkett, in dem Land, wo er hingehört und muss sich vor heimischem Publikum beweisen.

Hat Ihnen die Teilnahme am "Certain Regard" Türen geöffnet?

Thalheim: Das Interesse steigt, viele Produzenten sprechen mich an, und ich schaue mir viele mögliche Projekte an. Solange ich es mir irgendwie leisten kann, bin ich sehr wählerisch und warte auf einen Stoff, der mich so packt, dass ich ihn unbedingt realisieren will. Das könnte auch ein fremdes Buch oder ein so weit entwickeltes Treatment sein, an dem ich als Autor weiter arbeiten kann, einfach um schneller zu drehen. Es ist doch immer ein langer Prozess, einen Stoff zu entwickeln und zu schreiben. Derzeit habe ich mehrere Ideen im Hinterkopf und entwickle mit Alexander Buresch einen Arthouse-Thriller.

In welche Richtung möchten Sie gehen?

Thalheim: Ich möchte weiter sehr realistisch orientierte Filme drehen, die berührende Geschichten erzählen und dabei immer ein Auge auf die gesellschaftliche Situation, in der wir leben, werfen; also auch die Umstände einbeziehen, in denen wir politisch und gesellschaftlich organisiert sind. Aber anhand von persönlichen Schicksalen.

 
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