Sechse kommen durch die Welt

DDR 1971/1972 Spielfilm

Poesie mit Problemen


Margit Voss, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 19, 1972


Die Märchen der Brüder Grimm gehören zum Abc literarischer Erfahrung. Sie lassen sich zumeist auf ein Grundschema zurückführen. Konfrontiert mit der herrschenden Ordnung, dem Mächtigen, dem Reichen, dem Starken, muß der Schutzlose, der Arme zur List greifen, um sich zu behaupten. Der tiefe Glaube des Volkes, daß sich alle überirdischen Kräfte eben auf die Seite des Ausgebeuteten stellen werden, findet in diesen Märchen seine Bestätigung. Wie aber ein Märchen beispielsweise auf der Leinwand aussehen sollte, ist durchaus nicht so entschieden zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Ich glaube, daß ein Film, wie ihn Rainer Simon mit "Sechse kommen durch die Welt" vorlegt, seinen Maßstab nicht an irgendeiner anderen DEFA-Produktion finden kann, sondern vor allem an Simons eigenem Werk, zumal sich der Regisseur mit "Wie heiratet man einen König" diesen Maßstab so glänzend gesetzt hat. Begeisterung löste dieser Film vor allem dadurch aus, weil man die Figuren zu Charakteren aufwertete und das Lebensgefühl des heutigen Zuschauers auf sie übertragen wurde, ohne die Ebene des Märchens zu verlassen.

Die Methode, die sich bei der "klugen Bauerntochter" so glänzend bewährte, erwies sich bei dem Stoff "Sechse kommen durch die Welt" als problematischer. Die Autoren Joachim Nestler und Manfred Freitag, durch Mitarbeit des Regisseurs am Drehbuch unterstützt, hatten auch hier die literarische Vorlage nach sozialen Bezüglichkeiten hin abgetastet. Schon in der Exposition wird die Situation eines vom König betrogenen Söldners groß herausgearbeitet, als der trottelige Herrscher sich selbst und den pappmachénen Marschällen Orden an die Brust heftet, die Soldaten jedoch für einen mit ihrem Blut bezahlten Krieg mit drei lumpigen Hellern abfindet. Dieser Gedanke wird in der sehr schönen Schlußszene wieder aufgenommen. Die aufgehäuften Reichtümer des Königs werden durch die Sechs an das Volk verteilt. Diese Helden, fünf Burschen und ein Mädchen, mit Ausnahme des Soldaten mit übernatürlichen Kräften ausgestattet, wurden von den Filmschöpfern mit einem speziellen Charakterzug versehen, der vorwiegend dadurch bestimmt wird, daß der einzelne an seiner phantastischen Eigenschaft schwer zu tragen hat. Er denkt also über sich und seine eigene Wirkung auf die Umwelt nach, so daß diese Überlegungen ihn fast handlungsunfähig machen. (…)

Die Musik Peter Rabenalts, wie alles in diesem Film sehr sorgfältig komponiert und als dramaturgisches Mittel eingesetzt, paßt sich der anspruchsvollen Konzeption an unterstützt sie wesentlich. Ebenso die Kamera Roland Gräfs, die Landschaftsaufnahmen wirkungsvoll in Beziehung zur Handlung setzt. Und auch das spielfreudige Ensemble agiert ganz im Stil der Regiekonzeption. Jiří Menzel, einer, der renommierten Darsteller aus der CSSR, ist der ganz und gar unmilitärische Soldat, Günther Schubert der zurückhaltende Starke, Christian Grashof der traurige Fiedler und Jürgen Gosch der ordnungsliebende Jäger. (…)

Die Frage, ob dieses Kinostück nicht mehr einem Erwachsenenpublikum denn einer kindlichen Zuschauermenge angemessen ist, wage ich nicht zu beantworten. Die Filmschöpfer wollten sich an beide Gruppen wenden, wobei sie der durchaus zu akzeptierenden Meinung sind, daß sich das Kind mit der Oberfläche von Erscheinungen begnügt, während der Erwachsene Spaß an der Doppelbödigkeit der Szene haben wird. Ob aber für die Kinder genug Spaß, Aktion und phantasiefördernde Poesie in diesem Film enthalten sind, möchte ich bezweifeln. Hingegen gestehe ich trotz all der hier formulierten Bedenken, selbst von dem hintergründigen Witz, den aktuellen Bezüglichkeiten nicht nur gut unterhalten worden zu sein, sondern auch zu manch bedenkenswerter Überlegung Anregungen empfangen zu hoben.

Rechtsstatus