Die Blume der Hausfrau

Deutschland 1997/1998 Dokumentarfilm

Die Blume der Hausfrau



Heike Kühn, epd Film, Nr. 6, Juni 1999


Fünf junge Männer kehren dem Betrachter den Rücken zu. Sie tragen schwarze Mäntel, sie bilden eine Reihe. Vier dunkle Schöpfe rahmen einen weizenfarbenen in der Mitte. Sie lachen über einen Witz, den der Blonde reißt, während sie ihre Hosen glattstreichen. So könnte ein Western beginnen – wenn die Fünf nicht vor der Kachelwand eines Herrenklos ständen. Wenn der Film, der die Pistolero-Stimmung im Pissoir mit einer "Spiel mir das Lied vom Tod"-Musik untermalt, kein Dokumentarfilm wäre. Die Selbstdarstellung der Protagonisten schießt über die Grenzen eines vermeintlich objektiven Genres hinaus. Aber was spricht dagegen, Staubsaugervertreter als Asphaltcowboys zu inszenieren? Dominik Wessely hat mit seiner Experimentierfreude ins Schwarze getroffen. Die Kinolegenden, in die die Wirklichkeit sich hüllt wie weiland Bogart in seinen Trenchcoat, sind im Auftritt der fünf Protagonisten präsent. Der Dokumentarfilm erweist der Fiktion die Ehre.

Mehr noch verraten die abgekupferten Gesten der Porträtierten über die Rolle, die sie im täglichen Leben spielen. Steffen Widule ist der Wortführer, das beweisen nicht nur seine Witze, über die seine Kollegen Salvatore und Maurizio, Massimo und Angelo auch dann lachen, wenn sie auf Kosten der Italiener gehen. Bei Italiener-Witzen zu grinsen, ist für die vier Halb-Italiener, die perfekt schwäbeln, eine Überlebensfrage. Als Staubsaugervertreter darf man nichts persönlich nehmen. Salvatore, Maurizio und Massimo beherrschen das Repertoire der Selbstverleugnung so gut wie das der Selbstbehauptung. Wenn es darum geht, sich zu Beginn des Films ins rechte Licht zu rücken, schenken sie der Kamera ein Lächeln: Hinter der Kamera steht auch nur ein Mensch, ein Wesen, das dazu da ist, ihnen Staubsauger und andere Lügen abzunehmen.

Nur Angelo drückt sich vor dem Blick in die Kamera. Wie die ersten Minuten des Films das Abseits ausmachen, in das der Jüngste sich am Ende des Films vollends hineinmanövriert haben wird, das spricht für die Beobachtungsgabe eines geborenen Dokumentaristen: "Die Blume der Hausfrau" ist Dominik Wesselys erster abendfüllender Film, aber alles andere als ein Anfängerfilm.

"Fette Beute" ist der Schlachtruf der Staubsaugervertreter, die es vorziehen, sich Fachberater zu nennen. Sobald sie ihre Gebiete in Angriff nehmen, zeigt sich, was zählt: nichts als der eigene Abschluß, der die Provision sichert. Aalglatt sind die Späße im Beisein der Kunden, geübt wie die Handgriffe beim Vorführen des als "Kobold" gepriesenen Staubsaugers. Was ist eine Softdüse in einem Haushalt, in dem Rosen so unwahrscheinlich sind wie Orgasmen und Wollmäuse? "Die Blume der Hausfrau"!. In den Händen der ordentlichen jungen Männer verwandeln sich die Düsen und Bürsten, die Dreck aus verborgenen Winkeln hervorzwingen, in Instrumente einer Teufelsaustreibung – jeder Staubsaugerbeutel ein Gefäß unserer Sünden.


Das Kamerateam, das in der Vorweihnachtszeit in Wohnungen aus dem Stuttgarter Raum eingelassen wird, bekommt mehr zu sehen als Verkaufstechnik, mehr zu hören als das Hohelied auf einen Teppichreiniger, den man "theoretisch auch essen kann". So, wie manche Wohnungsinhaber auf ihrem Teppich knien, um mit der Lupe den Vorher-Nachher-Ritus zu vollziehen, handelt es sich um Heiligtümer. Sauberkeit ist ein Gott aus Deutschland und Vorwerk sein Prophet. Beklemmender als die Religion einer spurenlosen, abgrundtief gereinigten Gegenwart ist nur noch die Einsamkeit der Menschen, die sich Vertretern öffnen. Da ist die alleinerziehende Mutter von vier Kindern, die liebend gern einen Staubsauger hätte, der das Monatsbudget einer Sozialhilfeempfängerin verschlingt. "Ich bin rein(lich)", ist der unausgesprochene Satz, der in den Seufzern einer Geschiedenen mitklingt. Als Beichtvater, als Haustierhätschler und Bewunderer von Steingutsammlungen müssen die Vertreter herhalten. Beinahe empfindet man Mitleid. Eine Schulung, zwischen zwei Hausbesuchen in den Film montiert, korrigiert aber dieses Gefühl. Die Dreistigkeit des Ausbildungsleiters ist so ungeheuerlich, daß man sich über die Drehgenehmigung wundern muß. "Ihr wißt, daß ich draußen war", sagt der Lehrmeister, und es klingt, als sei er aus einem Krieg zurückgekehrt. Die Front verläuft an geschlossenen Türen. "Der Weg in die Wohnung" ist die Lektion überschrieben. Nicht aufgeben, wenn man nicht reinkommt. "Jesus", sagt der Ausbilder, "hat auch nicht jeden überzeugt. Ihr wißt ja, wie das geendet hat."

Am Ende eines jeden Jahres feiert die Firma mit der unmißverständlichen Mission den erfolgreichsten Verkäufer. Im Drehjahr, 1997, wird es wieder einmal Steffen Widule sein, der Mann, der mit seinem kalkulierten Charme Tür und Tore weit macht. Angelo aber, dessen Stimme so verschämt den Besuch des Vorwerk-Vertreters ankündigt, daß sein schlechtes Gewissen sich noch durch Lautsprecheranlagen mitteilt, muß sich seinen Zweifeln stellen. Vielleicht taugt er nicht für diese Arbeit. Daß die Arbeit nichts taugt, mag sich nicht einmal der Verlierer eingestehen. Auf einem Parkplatz klatschen sich die Helden der Gewinnbeteiligung in die Hände als seien sie die "Unbestechlichen", als läge in diesen Momenten das wahres Leben und zwischen den Kinoposen eine Bewußtseinslücke, an die man besser nicht rührt. Auch Angelo wird sich in seinen Wagen setzen und die Kamera als lonely rider hinter sich lassen. Entlarvend. Wozu aber, sagt der Film, sind Enthüllungen gut? Eine Kamera parat zu haben, wenn Masken fallen, ist nichts im Vergleich zu Angelos ratlosem Gesicht: Zu der Bereitschaft, noch an der ungeliebtesten Maske festzuhalten.

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